Wäre er nicht im besten Alter und auf der Höhe seiner Kunst, könnte man dieses Buch durchaus als sein Vermächtnis bezeichnen. Fast sechs Kilogramm schwer und 38 Zentimeter hoch passt „Französische Küche“ von Yannick Alléno in kaum ein Buchregal. 500 Rezepte und über 1500 exquisiten Fotos auf 780 Seiten zeigen, was den Koch der Extraklasse auszeichnet.
Der 46 Jahre alte Alléno gilt längst als Nachfolger des großen Starkochs Alain Ducasse. 2007 erkochte er sich im Hôtel Le Meurice in Paris den dritten Michelin-Stern. Erst kürzlich hat ihn die französische Ausgabe des Gault Millau zum “Koch des Jahres” gewählt – nach 2008 bereits zum zweiten Mal in seiner Karriere. Alléno sei der “Archetyp des großen französischen Kochs, der die Werte der hohen französischen Küche zelebriert”, lobte Come de Cherisey, Chefredakteur des Gault-Millau.
„Französische Küche“ als Bibel der Hochküche zu bezeichnen, ist nicht übertrieben. Das Buch strotzt vor Details, die zeigen, was einen Klasse-Koch auszeichnet. Die Tomaten für das berühmte klare und hocharomatische Tomatenwasser werden nicht nur zerhackt und püriert, sondern zuvor mit Sherry-Essig gewürzt.
Ein Tomaten-Concassé wiederum ist nicht nur die übliche Mélange aus eingelegten und frischen Tomaten. Den richtigen Schliff bekommt sie mit Champignons, die mit etwas Knoblauch und Petersilie aromatisiert werden – aber, und das ist der große Unterschied, erst nach dem Anbraten der Pilze und ohne Maximalhitze. Selbstbeweihräucherung ist Allénos Sache nicht. Porträts des attraktiven Franzosen, der einige Monate mit der Chansonnière Patricia Kaas liiert war, gibt es nur auf den ersten 30 Seiten. Was folgt, sind herausragend bebilderte Rezepte, unterteilt in zwölf Rubriken – von Canapés über kalte und warme Vorspeisen über Krustentiere und Fisch, Fleisch, Geflügel, Wild und Innereien bis zu Vordesserts und Mignardises. Abgerundet wird das Werk durch ein knapp 20-seitiges Grundlagenkapitel, das einen profunden Einblick in die Herangehensweise der Spitzenköche offenbart.
Ich habe den Kochkünstler im vergangenen Jahr in Marrakesch getroffen, wo er im Royal Mansour eines seiner STAY (“Simple Table Alléno Yannick”)-Restaurants betreibt. Bei einer Zigarre und einem feinen Cognac konnten wir entspannt plaudern. “Ich liebe es, mit den Zutaten zu spielen, neue Wege zu gehen, neue Aromen auszuprobieren, das Produkt in Form zu gießen”, sagt Alléno, der sich von Texturen, Formen und Farben inspirieren lässt. Seine Kochphilosophie – er bezeichnet sie als DNA – ist die Neuerfindung traditioneller Codes. Sein ambitionierter Anspruch: Die Neuentdeckung der französischen Küche. In den vergangenen vier Jahren hat er versucht, das “Terroir Parisien” zu reinterpretieren, indem er alten Rezepten neues Leben einhauchte. Die Extraktion und Fermentierung haben es ihm angetan. Um selbst die verstecktesten Aromen herauszuholen und “um zu verstehen, was passiert”, hat der Kreativkoch Fleisch über 125 Stunden gegart. Der Umgang mit Extrakten aus dem Labor gehört für ihn „zu den spannendsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe.“ Besonders inspiriert haben ihn eine Essenz aus dem Kochsud von Blutwurst und eine geräucherte Essenz aus Parmesankäse.
Die Fermentation wiederum stellt nach Meinung Allénos ein „ideales“ Verfahren für die regionale Küche dar. Auf die Idee kam er, als ihm ein iranischer Freund ein Einmachglas schenkte, in dem Knoblauchzehen seit 30 Jahren fermentierten.
Die Kreation neuer Gerichte geht dem Meister über alles, 200 Speisen erfindet er Jahr für Jahr neu. „Ich kann mir den Luxus leisten, spontanen Eingebungen zu folgen – einen Luxus, den ich mir im Schweiße meines Angesichts verdient habe“, bekennt er fast demütig. Schon als kleines Kind spürte der Mann, der 1999 mit 31 Jahren den zweiten Rang der Kochweltmeisterschaft Bocuse d’Or belegte, dass die Küche seine ureigene Wirkungsstätte werden sollte. Als er fünfzehn war, bat sein Vater den baskischen Starkoch Gabriel Biscay, seinem Filius ein Praktikum zu vermitteln. So landete der kleine Yannick im Relais Louis XIII, das damals von Manuel Martinez geleitet wurde. “Ich habe es von Anfang an geliebt und wusste, dass es genau das war, was ich mochte”, schwärmt der Perfektionist und zieht genüsslich ans seiner Zigarre.
„Französische Küche“ von Yannick Alléno ist ein Stück Luxus, das jeden Euro wert ist. Nicht nur engagierte Gourmets werden an diesem Monumentalwerk ihre Freude haben.
Yanick Alléno: „Französische Küche“. Matthaes Verlag, Stuttgart 2015. 782 S., geb., 129 Euro
© Bilder: Nicolas Buisson, Christian Euler
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