Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. So banal diese Binsenweisheit anmutet, so genau trifft sie auf die Entstehungsgeschichte des Severin*s Lech zu.

Es begann mit dem „Blumenhaus Lech“, das in der Wintersaison 2016/17 neue Maßstäbe in Sachen Luxus im mondänen Lech am Arlberg setzen sollte. Nomen est Omen: Andrew Flowers, Gründer eines der größten Versicherungsmakler in Großbritannien und seit Jahrzehnten Stammgast in Lech, wollte sich mit der nach ihm benannten Edelherberge einen Traum erfüllen. „Mit dem Blumenhaus möchte ich diesen schönen Platz mit anderen teilen, die in meinem Haus nur das Beste vom Besten bekommen sollen“, betonte er in einem Interview. Auf 25 Millionen Euro belief sich das Investitionsvolumen. Ein Teil des Refugiums sollte sein neues Zuhause werden.

 

 

Doch der Traum platzte: Anfang Oktober 2016 ging Flowers’ Firma „Blumenberg-Anstalt“ Pleite. Glück im Unglück: Das Objekt weckte Begehrlichkeiten. Gut vier Wochen später später griff Kurt Zech zu, der als Besitzer der Atlantic-Gruppe und Betreiber der beiden Severin*s-Luxushotels auf Sylt das nötige Expertise mitbrachte. Als Statthalter in Lech entsandte Zech Christoph Dittmer, der sich zuvor auf Sylt als Chef des Severin*s Resorts in Keitum bewies und entscheidend an der Eröffnung des Landhauses Severin*s Morsum Kliff mitwirkte. Von der Übernahme bis zum ursprünglichen Eröffnungstermin am 16. Dezember blieben ihm ganze sechs Wochen.

 

 

Es wurde ein Parforce-Ritt. Allein das Bemühen um die richtigen Handwerker glich der Quadratur des Kreises. Schließlich waren rund 30 Betriebe von der Pleite Flowers’ betroffen und nicht unbedingt erpicht darauf‚ ihr Werk zu beenden. Doch Dittmer musste nicht nur die Fertigstellung des Hotels selbst in der Kürze der Zeit ins Lot bringen. Es ging auch um ebenso profane wie unentbehrliche Utensilien wie Bettwäsche‚ Geschirr‚ Tischdecken‚ die noch bestellt werden mussten. Weil die handgenähte Bettwäsche acht Wochen Lieferzeit hatte, half man sich leihweise mit Bezügen aus Sylt.

 

 

Dittmer und sein Team mussten improvisieren. Noch heute befinden sich das Direktionsbüro, die Bar und die Rezeption in einem Raum. Der Gastgeber nimmt’s gelassen, seinem unbeirrbaren Lächeln tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Der sympathische Hotelmanager fühlt sich pudelwohl. Die Reisefreude hat Dittmer gleichsam mit der Muttermilch aufgesogen: „Meine französische Mutter und mein deutscher Vater haben sich in Barcelona kennengelernt, wo beide studiert haben – so wurde mir das Reisen und Leben in fremder Umgebung gleichsam in die Wiege gelegt.“ Der 39-Jährige ist auf dem Boden geblieben‚ obwohl er mit der Mutation vom „Blumen Haus Lech“ zum „Severin*s –The Alpine Retreat“ ein Meisterstück geliefert hat. Er ist ein Mensch, den man gern zum Freund hätte.

 

 

Dank des Einsatzes traditioneller Elemente wie einem Kupferdach und antikem, bis zu 150 Jahre alten Tiroler Holz, integriert sich das im Chaletstil gehaltene Hotel harmonisch in das Gesamtbild von Lech. Nur neun zwischen 47 und 67 Quadratmeter große Suiten schaffen eine fast familiäre Atmosphäre. Die Räume sind großzügig mit Altholz an Wänden, Boden und Decken sowie Naturstein für Böden und Wandverkleidungen ausgestattet. Designmöbel, Kunst und Hightech vereinen die Einrichtung zu einem Mix zwischen Tradition und Moderne ohne Widerspruch. Großzügig die wohlig warm temperierten Bäder mit ihren äußerst bequemen Badewannen.

 

 

Als Gast fühlt man sich schnell zu Hause im Severin*s – umgeben von stilvollem, unaufdringlichem Luxus. Dass beispielsweise ein Sofa des italienischen Kultlabels Minotti mit 30.000 Euro zu Buche schlägt, erschließt sich wohl wahren Connaisseuren. Dazu passt die Vielzahl ausgesuchter Werke zeitgenössischer Künstler, u.a. von Roy Liechtenstein. Neben den neun Suiten lockt ein über 400 Quadratmeter großes, zweistöckiges Master Appartement für bis zu acht Personen – mit Privatlift, Heimkino, Außen-Whirlpool und selbstspielendem Flügel. Bis zu 10.000 Euro pro Tag werden dafür vom vermutlich gut gefüllten Bankkonto abgebucht.

 

 

Die Preise für die Suiten beginnen bei 690 Euro pro Nacht für die Junior Suite in der Nebensaison und reichen bis zu 2290 Euro für die Senior Suite in der Hauptsaison. Das klingt zunächst sehr ambitioniert, doch der Blick hinter die Kulissen zeigt, dass es hier nicht der schnöde Mammin im Vordergrund steht. „Erst bei 700 Euro erreichen wir den Break Even“, erläutert Gastgeber Christoph Dittmer. Allein das einen Steinwurf entfernte Mitarbeiterhaus koste 250.000 Euro Miete im Jahr, werde aber nur an 100 Tagen genutzt. Zudem gebe es maximal 26 zahlende Gäste‚ um die sich die 25 Hotelangestellten kümmern.

 

 

Die Lage des Severin*s im Ortsteil Stubenbach abseits der Pisten ist kein Nachteil. Fahrer Mirko bringt die Gäste wann immer sie wollen mit dem Shuttle zur Gondel. Und dort können Ski-Aficionados aus dem Vollen schöpfen. Das Ski-Dorado Lech blickt auf eine über hundertjährige Geschichte zurück. Mit dem Skiclub Arlberg wurde 1901 der weltweit älteste und heute europaweit mitgliederstärkste Skiverein gegründet. Dank der neuen Flexenbahn sind seit vergangenem Winter erstmals sämtliche Orte am Arlberg auf Skiern zu erreichen. Lech, Zürs und Warth mit St. Anton und Stuben sind nun zusammengewachsen und machen die Region mit 305 Pistenkilometern und 200 Kilometern Tiefschneeabfahrten zum größten Skigebiet Österreichs. Weltweit ist man auf Rang fünf vorgerückt.

 

 

Das hohe Niveau des Hauses hält auch das Restaurant. Chef de Cuisine Stephan Kriegelstein wurde 2015 in Zermatt mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Dem Gault&Millau sind seine Kreationen im Severin*s 16 Punkte wert. Sein Handwerk vervollkommnete der 31-Jährige in vornehmen Hotels wie den beiden Schweizer Luxushotels Kronenhof in St. Moritz und dem Waldhaus sowie dem mit zwei Michelin-Sternen dekorierten Restaurant im Kölner Hotel im Wasserturm. Seine Maxime: „Mein Team und ich kochen, was wir fühlen und was wir in uns tragen. Die Qualität der Lebensmittel ist der Weg zum Ziel.“

 

 

Schon seine Vier-Gang-Arrangements zeigen mit Verve, wie er seine Philosophie umsetzt. Beispielsweise die falsche Tomate mit Olivenerde und Rucola oder die Atlantik Rotbarbe auf Venere-Reis mit Safran-Fenchel und einer leichten Krustentier-Velouté. Sehr zart zubereitet und von hoher Produktqualität präsentiert sich das Filet vom Duroc-Schwein im Kräutermantel mit Pommes Macaire-Kartoffeln. Sommelier Maximilian Spital begleitet die Gerichte mit seinem sicheren Gespür für die passenden Weine. Seine Weinkarte umfasst 350 Positionen, der Schwerpunkt liegt auf Rotweinen aus dem Bordeaux.

 

 

Zur Hochform fährt Kriegelstein in seinem neungängigen Gourmetmenü auf, das er als kulinarische Weltreise konzipiert: vom japanischen dekonstruierten Sushi über ein balinesisches Sate Ayam mit Erdnuss, Lauch und Cima di Rappe oder einem indischen Lamm-Tandoori mit schwarzem Rettich und Koriander bis zum Schweizer Käsefondue als Dessert. „Es geht nicht um regional oder international. Es geht darum, über Grenzen hinaus zu begeistern“, kommentiert Küchenchef Kriegelstein. Besser lässt sich seine Kochkunst nicht auf den Punkt bringen.

Fotos: Tom Kohler Internationale Fotografie