Hochklassiges Entertainment und Akrobatik der Extraklasse stehen auch im 15. Stuttgarter Palazzo-Jahr im Mittelpunkt. Das Menü stammt einmal mehr aus der Feder von Küchenkünstler Harald Wohlfahrt.
140 Lüster sorgen im Spiegelpalast auf dem Cannstatter Wasen für Lichterglanz, knapp 70.000 Kerzen pro Spielzeit vervollkommnen die anheimelnde Atmosphäre unter dem Sternendach des 15 Tonnen schweren Zeltes. 8400 Arbeitsstunden waren schon vor dem Start des „Unikate“ genannten aktuellen Palazzo-Programms nötig, das Artisten aus aller Welt vereint. Oleg Tatarynow zum Beispiel, der mit seiner Akrobatik-Nummer die Dinner-Show eröffnet – und die Messlatte für die nachfolgenden Künstler sehr hoch legt. Nicht nur Frauen geraten ins Schwärmen, wenn sich der durchtrainierte Ukrainer dem Flying Pole hingibt – eine Pole-Stange, die nicht am Boden, sondern in der Zeltkuppel befestigt ist.
Ein wahres Unikat ist auch Kerol. Das spanische Multitalent begleitet sich beim Jonglieren selbst – mit zweistimmigem Beatboxen und einer Flöte, die er gleichzeitig mit der Nase spielt. Multitasking der außergewöhnlichen Art. Als Kind wollte Kerol ein Erwachsener sein – jetzt wäre er lieber Kind. Schade eigentlich, denn diese Kunstfertigkeit bedarf neben einer gehörigen Portion Talent viele Jahre harten Trainings. Würde sein Wunsch Wirklichkeit, hätte die Welt des Varietés einen herausragenden Protagonisten weniger. Daniel Reinsberg führt als Conferencier feinsinnig und souverän durch den Abend. Der in Ägypten geborene Wahlberliner zieht das Publikum mit seinem Mix aus Bauchreden und Comedy in seinen Bann, witzig und charmant, nie Grenzen überschreitend. An seiner Seite benötigt Minimalist Klaus Loch alias „Herr Riesling“ keine Worte während seiner Intermezzi. Brillant sein scheinbar aussichtsloser Kampf mit einem Heliumballon. Ein anderes Mal scheint der Mann, dessen Körper aus Gummi zu sein scheint, gar über der Bühne zu schweben – und kommentiert süffisant: „Ich schwebe in Schwaben und es kostet nichts.“
Das Duo Lotta Paavilainen und Stina Kopra tritt in Liebestötern auf. Bis zu ihrem Auftritt sind auch sie Teil der Show, spazieren kichernd – und vollständig bekleidet – durch das Zelt und sprechen die Zuschauer an. Während ihrer Performance zeigen sie eine Partnerakrobatik vom Feinsten. Dabei verlieren sie zwar das ein oder andere Kleidungsstück, aber weder ihren Humor, noch ihr Gleichgewicht – was auf dem Rola-Bola genannten Balancierbrett einem Balanceakt im besten Sinne gleichkommt. „Ich habe nicht die Kunst gewählt, sondern sie mich“, bringt Stina ihre Leidenschaft auf den Punkt. Der Kasache Ilya Kotenyov und der Weißrusse Artur Ivankovich lernten sich beim Circque du Soleil kennen. Die beiden katapultieren sich auf einem Schleuderbrett bis knapp unter die Palazzo-Kuppel: spektakuläre Wurfakrobatik. Kaum Wunder, dass Artur nach eigenem Bekunden nicht ohne Fallschirmspringen leben kann – wobei er in Stuttgart ungebremst auf das freie Ende des Teeterboards trifft.
Für das leibliche Wohl sorgen einmal mehr die Kreationen von Harald Wohlfahrt. In der Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn wurde er bis zu seinem Ausscheiden im vergangenen Jahr 25 Jahre lang in Folge mit drei Michelin-Sternen gekürt. Heute betrachtet er seine Enkel als die „wichtigsten Sterne“. Zur Vorspeise reicht das hervorragende Serviceteam, allen voran Thomas, eine feine Brandade vom auf den Punkt gegarten wildgeräucherten Heilbutt mit Auberginenkaviar und roter Zwiebelmarmelade. Als Zwischengang folgt eine Curry-Velouté mit Coco-Bohnen, Steinpilzflan und Gemüsechips. Die à part gereichte Sauce ist so reichlich, dass sich gut und gerne drei oder vier Besucher an ihr delektieren könnten.
Die glasierte Keule von der Barbarie-Ente zum Hauptgang wird von Rahmwirsing und Backpflaumen an Portweinsauce sekundiert. Den süßen Abschluss bildet Panna cotta auf einem Früchtecocktail mit kandierten Limonen-Julienne. Für Vegetarier, laut Statistik zählt jeder zehnte Besucher dazu, gibt es eine fisch- und fleischlose Variante. Fein abgestimmt und eine hervorragende Alternative zum Heilbutt kommt der Salat von Belugalinsen und gratinierten Römersalatherzen an Thai-Vinaigrette aufs Porzellan. Die zum Hauptganggereichten Buchweizennudeln mit Gewürztomaten, Artischocken, Oliventapenade und altem Balsamico fallen hingegen etwas ab.
Das kulinarische Niveau ist zwar hoch, vermag aber bei weitem nicht an die exorbitante Qualität in der Schwarzwaldstube heranzureichen – was angesichts von bis zu 370 Gästen nicht verwundert. Auf 80 Quadratmetern muss die Küchenbrigade das Menü für sämtliche Besucher zubereiten, die einzelnen Gänge erreichen binnen zehn Minuten die Tische. Die Palazzo-Statistiker haben ausgerechnet, dass somit alle zwei Sekunden eine Speise die Küche verlässt und jeder Servicemitarbeiter pro Abend rund zehn Kilometer zurücklegt.
Fazit: Palazzo Harald Wohlfahrt als dreieinhalbstündiges Rundum-Erlebnis zu Preisen ab 89 Euro ist fraglos einen Besuch wert. Die Spielzeit der Show endet am 10. März 2019.
Fotos: Palazzo