Auffallend viele Japaner fanden sich zum Konzert von Nobuyuki Tsuji in der Stuttgarter Liederhalle ein. Wer Nobu Tsujii in seiner Heimat hören will, zahlt das Zehnfache, verrät uns unsere Nachbarin, die seit acht Jahren in Stuttgart wohnt. Dass die Konzerte des 25-jährigen im Land der aufgehenden Sonne dennoch immer ausverkauft sind, verwundert nicht. Denn seine Geschichte ist außergewöhnlich: Nobu, eigentlich Nobuyuki Tsujii, wurde blind geboren und zählt heute weltweit zu den profiliertesten klassischen Pianisten. Der tief in sich gekehrte Mann mit dem lächelnden Gesicht lernt die Stücke in der Braille-Schrift. Eine Hand liest die Noten, die andere spielt. Und er spürt den Tönen anhand speziell angefertigter Aufnahmen nach, auf denen linke und rechte Hand separat vorgespielt werden – so lange, bis er jede Einzelheit in seinem Inneren gespeichert hat und mit seinen Händen wiedergeben kann. Tag für Tag übt Tsujii bis zu acht Stunden.
Als er zwei Jahre alt ist, singt ihm seine Mutter „Jingle Bells“ vor. Der kleine Junge spielt die Melodie auf seinem Kinderpiano nach. Zwei Jahre später beginnt seine musikalische Ausbildung. Gerade zwanzig Jahre alt, gewinnt er als erster Japaner den Van Cliburn-Klavierwettbewerb. „Absolut wunderbar, sein Spiel hatte die Macht von einem Heilungsgottesdienst. Es war wirklich göttlich“, adelte der im letzten Jahr verstorbene amerikanische Ausnahmepianist Cliburn sein Spiel.
Nun also sein Rezital in Stuttgart. Ein hagerer, von Demut erfüllter Herr mittleren Alters führt Nobu vorsichtig an den Steinway D-Flügel. Er streicht über die Tasten, vermisst gleichsam das Instrument. Dann strahlt er nach Innen, versinkt ins Reich der Töne. Während er spielt, schwingt sein Kopf in Wellen hin und her.
Frédréric Chopin steht bis zur Pause auf dem Programm – unter anderem die Nocturne Cis-Moll und die Klaviersonate Nr. 2 b-Moll mit dem berühmten Trauermarsch. Lang anhaltender Applaus. Nobu strahlt über sein unschuldiges Gesicht, wie ein Kind inhaliert er den Beifall.
Werke von Franz Liszt bestimmen die zweite Hälfte des Rezitals. Überraschend seine Auslegung des berühmten Liebestraum As-Dur, ein Inbegriff romantischer Klaviermusik: So virtuos seine Technik auch ist, den großen Emotionen begegnet Nobu eher nüchtern denn schwelgerisch-poetisch. Doch das mag an seinem Alter wirken und sich mit den Jahren vervollkommnen.
Vollendet trägt er hingegen seine Interpretation der Klaviertranskription von Isoldes Liebestod aus Wagners „Tristan und Isolde“ vor. Spätestens bei der stupend dargebotenen, technisch extrem anspruchsvollen „La Campanella“ aus den sechs großen Paganini-Etüden springt der Funke zum Publikum über. Das Stück basiert auf einem Thema aus dem letzten Satz des h-Moll Violinkonzerts von Niccolo Paganini.
Dieses virtuose Werk mit seinen Staccato-Sprüngen, den obligatorischen Liszt-Quart-Sext-Akkord-Treppen und den chromatischen Oktav-Läufen blind zu spielen, hat fast etwas Mythisches. Gefragt, wie er das schafft, gibt sich Nobu bescheiden: „Für mich ist das Klavier die Verlängerung meines Körpers, daher weiß ich ganz genau, wo die einzelnen Tasten sind“. Zu seinen Vorbildern zählt er neben Jewgeni Kissin und Vladimir Horowitz auch die argentinische Pianistin Martha Argerich.
Lang anhaltender Jubel und Bravorufe nach dem Valse de l’Opera de Charles de Gounod. Gleich fünf Zugaben gibt Nobu Tsujii zum Besten. Besonders beeindruckend seine Eigenkomposition in Gedenken an die Opfer des Tsunamis in Fukushima. Feuchte Augen bei vielen Zuhörern.
„Was auch immer du magst, es wird dich dazu bringen, noch mehr Freude an der Musik zu haben“, sagte Nobu Tsujii in einem Interview. Wer diesen Ausnahmepianisten live erleben darf, erfährt diesen Wahlspruch in einer neuen Dimension. Am 9. November ist der begnadete Japaner im Münchner Prinzregententheater zu Gast.
www.nobupiano1988.com
Greetings from U.S.A. I am a big fan of Mr. Nobuyuki Tsujii.
I think I had previously read a version of this article, and I thank you once again for it. I was also at the Stuttgart recital in May; it was a great success.
I would like to mention a couple of things relevant to the article.
1. Nobu is returning to Germany next month (November 2014) and will perform recitals (Ravel and Chopin) in Berlin and Munich.
2. I find the title you gave this version of the article interesting. Perhaps you are aware of the woodblock print by Tsukioka Yoshitoshi, 1886, which depicts “Taira no Tomoume, a blind warrior, (who) uses second sight to see his enemies and survive in battle. He carries a poem slip as a talisman. The verse reads, From darkness I have wandered lost on to a darker path; the moon of heart is becoming clouded. ” I have always thought of Nobu whenever I look at that print – http://bit.ly/1wsQ0Qr
3. While in Germany in May, Nobu and his manager (Mr. Nick Asano, the gentleman with great humility mentioned in your article) traveled to Teldex Studio in Berlin to record a CD, “Nobuyuki Tsujii plays Liszt”. It has just been released. http://amzn.to/1t4cc2A
Please allow me to menton this: Nobuyuki Tsujii DOES NOT use Braille scores to learn new music — the supply is too limited and the process too cumbersome for a pianist at his level.
He instead uses what he calls “scores for the ear”, a process initiated by a childhoold piano teacher. The notes for each hand on a score are recorded separately on multiple cassette tapes, with oral annotations on tempo, dynamic, etc.
Nobu listens to each tape and memorizes the notes, assembling them all (sometimes involving hundreds of tapes) in his head.
In the new Peter Rosen documentarry “Touching the Sound”, there is a scene that explains this process.
[…] http://www.sellawie.com […]