„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann warst du nicht nahe genug dran“, sagte einst der legendäre Kriegsfotograf Robert Capa. Dieses Credo prägt auch die Arbeit von Lynsey Addario, die zu den besten Fotojournalisten der Gegenwart gehört. Ihre Fotos wurden in der New York Times, in National Geographic und im TIME Magazine veröffentlicht. Zahlreiche Auszeichnungen krönen ihr Werk, für Ihre Reportage über „Talibanistan“ erhielt sie 2009 den Pulitzerpreis.
Seit 15 Jahren reist die US-Fotografin Lynsey Addario in die Krisengebiete der Welt. Ihre Autobiographie ist eine Geschichte von Gewalt und Tod, aber auch eine Ode an das Leben. Schon als Kind lernt sie die rauen Seiten des Lebens kennen. Als sie acht Jahre alt ist, verlässt ihr Vater die Familie, um mit einem Mann zusammenzuleben. Mit drei Kollegen gerät Lynsey Addario im März 2011 in Todesgefahr, als sie in Libyen von Gaddafis Soldaten verschleppt werden. Sie werden gedemütigt, geschlagen und mit dem Tode bedroht. Die Bilder der vier Journalisten gehen um die Welt. Nach fünf Tagen werden sie freigelassen. Für die heute 43-Jährige war diese Erfahrung der Anlass, mit ihrem Mann Paul de Bendem, einem britischen Reuters-Journalisten, eine Familie zu gründen. Sohn Lukas ist heute vier Jahre alt.
Ihr Privatleben gleicht bis dahin einer Aneinanderreihung von Fehlschlägen: „Ich hatte Beziehungen, aber ich wollte mich nicht wirklich darauf einlassen. Ich bin immer wieder zurückgekehrt an die Front, da habe ich mich am wohlsten gefühlt”, schreibt Addario. Gleichwohl ist sie nicht ohne Furcht: “Ich habe viele Ängste, jedes einzelne Mal, wenn ich einen Auftrag mache. Noch viel mehr, seitdem ich ein Kind habe. Ich muss einfach lebend nach Hause kommen.“ Ehrlich beschreibt die Autorin, wie schwierig es für sie ist, neben dem Beruf echte Beziehungen zu leben.
Addario riskiert immer wieder ihr Leben. Sie wurde zweimal entführt, beschossen, schwer verletzt und sah Kollegen sterben. Libyen war nicht das erste Mal, dass sie dem Tode nur knapp von der Schippe sprang. Nur fünf Jahre zuvor wurde sie bei einem Autounfall in Pakistan schwer verletzt – ihr Fahrer wurde getötet.
Aufhören stand für sie nie zur Diskussion. Tod, Elend, Gewalt und Schrecken sind wie eine Droge. Dabei glaubt Lynsey Addario an die Macht der Bilder („mit der Kamera bin ich wirkungsvoll“). Sie will Menschen wachrütteln und mit ihren be(d)rückenden Fotos zum Nachdenken zu bringen. “Ich lasse manchmal Menschen zurück, die vielleicht nicht überleben werden. Wenn ich gehe, habe ich nur eine Momentaufnahme ihres Lebens gesehen… Ich kann da nur hoffen, dass meine Arbeit ihre Situation verbessert, dass meine Arbeit ihnen irgendwie helfen kann.”
Immer wieder hinterfragt sie sich, ob sie das überhaupt machen kann und darf. „Wenn ich heimkehre und die Risiken nüchtern beurteile, fällt es mir nicht leicht, mich für meine Arbeit zu entscheiden. Aber wenn ich meine Arbeit mache, bin ich lebendig und kann ich selbst sein. Gewiss gibt es andere Wege zum Glück. Dies aber ist der Weg, den ich gewählt habe.“
„Jeder Moment ist Ewigkeit“ ist eine ebenso erschütternde wie eindringliche Tour de Force durch die Kriege der vergangenen Jahre und öffnet die Augen. Wer das Leid der syrischen Flüchtlinge durch Addarios Kamera und ihren eindringlichen Text betrachtet, sieht die Asyl-Diskussion in einem völlig neuen Licht.
Ihr über 350 Seiten starkes Buch hat in den USA so viel Interesse erregt, dass Steven Spielberg ihr Leben verfilmen will – mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle. Warner Bros. hat die Rechte an Addarios Autobiografie erworben. Die Originalausgabe trägt den schlichten, aber vielsagenden Titel “It’s what I do” – frei übersetzbar mit „Ich kann nicht anders“.
Fotos: Lynsey Addario
Lynsey Addario: Jeder Moment ist Ewigkeit. Als Fotojournalistin in den Krisengebieten der Welt. Econ Verlag Berlin, 2016, ISBN 978-3-430-20212-1