Ein Beitrag über Stadtentwicklung in einem Blog, der die Schönheiten des Lebens feiert? Und dann auch noch solch ein indifferenter und eigentümlicher Name? Ich möchte Ihnen die Geschichte eines Bildbandes und seiner Entstehung erzählen, und wie die Orte direkt vor unserer Haustür begeistern können.
Der Bildband mit dem merkwürdigen Namen – Kleinöde – widmet sich exklusiv und mit aller Leidenschaft den komplexesten und (leider auch) gescholtensten Elementen des öffentlichen Raums: Plätzen. Genauer gesagt: Stadtplätzen.
Plätze sind zunächst erst einmal Freiflächen im Gefüge der Stadt, also unbebauter aber bei weitem nicht ungestalteter Raum. Sie sind Orte, an denen sich der Stadtraum – aderngleich durch Straßen segmentiert wie geordnet – öffnet, Entschleunigung erfährt und zur Zusammenkunft einlädt. Plätze schaffen Raum für Öffentlichkeit – in all ihrer Bandbreite, vom vergnüglichen Altherren-Boule-Nachmittag bis zur brodelnden Großdemonstration. Stadtplätze sind Repräsentationsflächen und Orte der mannigfaltigen Bespielung.
Denken wir über den Platz als Suffix nach, zeigt sich schnell die große Zahl bekannter Nutzungen unserer vielfältigen Freiraumfreunde: Markt-, Kirch-, Sport-, Park-, Schloss-, Campus-, Bahnhofs-, Schmuck-, Quartiers-, Theater-, Fest-….platz.
Immer wieder haben wir das große Glück, Plätze als räumliche Ausgangspunkte für das Streben nach Freiheit und Demokratie erleben zu dürfen. Als Inbegriff von Öffentlichkeit sind sie also Orte, die das gesellschaftliche Zusammenleben – aber auch allen Zwist – räumlich erlebbar machen.
Denken wir an die Metropolen der Welt, so kennen wir doch mindestens einen großen, bekannten Platz in ihren Herzen. Tian’anmen-Platz, Times Square, Petersplatz, Trafalgar Square, Roter Platz, Alexanderplatz – sie sind zentraler Ort der jeweiligen Stadt und zugleich weltbekannte Touristenmagneten.
Die Idee zum Bildband entstand während der Stadtspaziergänge, die wir seit vielen Jahren in Frankfurt am Main veranstalten. Diese versuchen sich an einer Vermittlung zwischen urbanistischer Forschung und Erlebbarkeit vor Ort. Plätze fielen hier immer wieder ins Auge und sollten theoretisch wie visuell genauer analysiert werden. Das wiederholt Besondere an Plätzen sind die multiplen Spannungsfelder, das Kontroverse, das Zwiespältige in Anspruch, Funktion, Nutzung und Ästhetik. Je zentraler und genutzter ein Platz ist, desto mehr Meinungen über und Ansprüche an ihn entstehen.
Der häufige Widerspruch im Denken und Fühlen über unsere Plätze findet sich auch im Titel des Bildbands wieder: Kleinöde: beglückendes Kleinod und triste Einöde sind nur die Extreme in der Wahrnehmung. Die Wahrheit, oder was wir dafür halten, liegt irgendwo dazwischen. Kleinöde eben.
Frankfurts Plätze könnten dabei kaum vielfältiger sein. Neben umstrittenen Plätzen wie der Platzfolge Rathenauplatz-Goetheplatz-Rossmarkt gibt es Touristenorte wie den Römerberg, repräsentative Plätze wie den Opernplatz und schwer als Platz identifizierbare Orte wie die Hauptwache. Jeder Platz bedarf eines eigenen Zugangs in der Wahrnehmung und Beurteilung. Wie wird der Platz genutzt? Gibt es mehr als nur eine Nutzung? Wer trägt welche Ansprüche an ihn heran? Wie muss der Platz gestaltet sein um diesen Ansprüchen zu genügen? Welcher Logik folgt die Platzgestaltung?
Es wurde schnell deutlich, wie ungemein wichtig der Dialog zwischen Nutzern und Gestaltern ist, denn nur so kann eine gelungene Bespielung des Raums gewährleistet werden. Zu abstrakte oder zu indifferente Gestaltungen verschrecken oder irritieren die Nutzer. Zugleich ist die Interpretation und kreative Nutzung der Plätze das erstrebenswerteste Ziel und ein Ausdruck von Urbanität am Platze.
Die Arbeit am Bildband wurde zur Entdeckungsreise und wir fanden fragwürdige Freiräume und wahre Kleinodien, die es zu besuchen gilt. Zudem schärften wir unser Verständnis, was gute Plätze möglicherweise ausmachen könnte und räumten Plätzen als artenreichste Spielart des öffentlichen Raums mehr Platz in unserer Wahrnehmung und unserem Herzen ein. Wir möchten immer wieder einladen, Plätze zu besuchen, bewusst wahrzunehmen und möglicherweise kritisch zu hinterfragen. Die Schönheit im Nicht-Privaten werden Sie, lieber Leser, sehr schnell zu schätzen wissen.
In diesem Sinne: Auf die Plätze, fertig, los!
Christoph Siegl
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Kleinöde: Ein Bildband zur Idee und Praxis
städtischer Plätze in Frankfurt am Main
Broschiert, 260 Seiten, ISBN-10: 3734738466 Preis: 19,99 Euro
von Christoph Siegl, Anne Rudolf und Oliver Müller
Bestellbar direkt über Open Urban Institute
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