Sternekoch Hendrik Otto und sein Team zeigten in der litauischen Hauptstadt drei Tage lang ihr Können. Auch abseits der Kulinarik ist Vilnius eine Reise Wert.
Es ist die perfekte Bühne für den Kurzbesuch der Küchenkünstler aus dem Gourmetrestaurant ‚Esszimmer’ Berliner Adlon. Das Kempinski Cathedral Square liegt inmitten der Altstadt von Vilnius – an dem Platz, der dem Hotel seinen Namen gab. Der im Jahr 1900 erbaute neoklassizistische Stadtpalast wurde viele Jahre als zentrales Telegrafenamt genutzt und öffnete im Herbst 2012 seine Türen als Fünfsterne-Hotel. Die 96 luxuriösen Zimmer und Suiten sind individuell im baltischen Stil eingerichtet.
Der Präsidentenpalast und die Haupteinkaufsstraße Gedimino Boulevard mit ihren Boutiquen, Galerien und Ministerien, ist nur ein paar Gehminuten entfernt. Die Stadt mit ihrer eigentümlichen Melange aus von altem Kopfsteinpflaster geprägten Gassen, modernen Studentencafés sowie rund 50 gotischen und spätbarocken Kirchen fast aller christlichen Konfessionen changiert zwischen der Ausstrahlung einer Ost-Metropole zu Zeiten des Kalten Krieges und dem modernen Europa mit Luxus-Labels und gläsernen Hochhäusern. Vilnius steht auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes und ist auf dem besten Weg, sich vom Geheimtipp zum weltoffenen Reiseziel zu wandeln. Dafür spricht nicht zuletzt, dass gleich mehrere Hotelketten neue Häuser angekündigt haben.
Beim Rundgang durch die Stadt mit ihren gut 500.000 Einwohnern darf Užupis keinesfalls fehlen. Selbst Hollywood hat das historische Viertel schon als Filmkulisse entdeckt, das sich als eigenständige Republik betrachtet und von Vilnius ebenso wie von Litauen unabhängig erklärt hat. Schmucke Hinterhöfe, Kunstgalerien und enge Gassen prägen das Bild. Manche vergleichen dieses Refugium der Bohème mit dem Pariser Künstlerviertel Montmartre. Laut Verfassung hat hier jeder das Recht, glücklich zu sein. 41 zumeist scherzhafte Artikel in den wichtigsten Sprachen sind am Parlamentsgebäude – dem Café “Užupio Kavine” – auf einer Bronzetafel verewigt. Artikel 21 etwa berechtigt jeden, für seine Unbedeutsamkeit dankbar zu sein. Artikel 12 lautet: “Ein Hund hat das Recht, ein Hund zu sein.” Die Unabhängigkeit wird alljährlich mit Wahlen und Umzügen am 1. April gefeiert.
Im Kempinski Hotel Cathedral Square gab sich das Team um Hendrik Otto aus dem Lorenz Adlon Esszimmer des ebenfalls zur Kempinski-Gruppe gehörenden gleichnamigen Hotels in Berlin die Ehre. Die Küche des 42-Jährigen, der seinen Beruf in einem einfachen Landhotel gelernt und nicht zuletzt bei Harald Wohlfahrt die Feinheiten der Haute Cuisine kennenlernte, wird vom Guide Michelin seit Jahren mit zwei Sternen gekürt. Auf einem Bauernhof in Löberitz bei Bitterfeld groß geworden hat Otto schon als Teenager die Liebe zu selbst gemachtem Essen entdeckt. Kaum 14 Jahre alt, zeigte ihm sein Vater Berichte über Alain Ducasse. Der Traum wurde wahr: Einige Jahre später, Otto hatte gerade sein Gastspiel bei Harald Wohlfahrt beendet, stand tatsächlich der französische Spitzenkoch zur Debatte. Doch Hendrik Otto entschied sich für die Position des Chef de Cuisine im Hamburger Landhaus Flottbek.
Schauplatz der Gourmandise ist das Restaurant Telegrafas, dessen Name eine Reminiszenz an die Sowjet-Zeiten ist, zu denen das Hotel das zentrale Telegrafenamt der Stadt beherbergte. Üblicherweise führt dort Executive Chef Javier Lopez Regie. Geboren in Barcelona, brachte er mehr als 16 Jahre Erfahrung aus Spitzenhäusern in Spanien, Belgien und Frankreich in die Luxusherberge am Kathedralen-Platz. Während des dreitägigen Koch-Events arbeitete er erstmals an der Seite von Hendrik Otto – zur Freude der Gäste, die ein hochklassiges Menü goutieren durften, das es so in Vilnius bisher wohl kaum gegeben hat.
Bleibende Eindrücke hinterlässt die Boullabaisse mit perfekt gegartem Hummer, zarten Calamaretti und Langostino. Staudensellerie und Aniskraut ergänzen die nuancenreiche Komposition. In der Suppe schwimmen „Kaviar“-Kügelchen aus Kräutern, Pernod und Karotte. Darüber ein Parmesan-Stick. Das Gericht ist eine handwerklich präzise zubereitete Komposition mit exzellent aufeinander abgestimmten Elementen. Selbst in der Sterneküche ein Novum: Der Dampf aus mit einer Flüssigkeit aus Verbene, Anis und Fenchel angegossenem Trockeneis verleiht dem Gang neben der Optik und Sensorik mit der olfaktorischen Wahrnehmung eine weitere Dimension. Es ist in der Tat mehr als nur eine gute Idee: Die ohnehin hervorragende Bouillabaisse wird durch den Kräuterduft nobilitiert.
Sommelier Shahab Jalali reicht dazu mit dem 2013er ‚Ürziger Würzgarten’ ein Großes Gewächs aus dem Hause Dr. Loosen. Die Reben, die die Trauben für diesen wahrhaft großen Wein hervorbringen, sind bis zu 120 Jahre alt. Schade, dass der sympathische Jalali den herrlich spannungsgeladenen und balancierten Wein nur so sparsam eingießt. Der gebürtige Iraner ist seit 2011 im Adlon tätig und bringt seine Passion für den edlen Rebsaft so auf den Punkt: “Wein ist für mich nicht nur ein Erlebnis, sondern auch die Leidenschaft des Winzers, die sich im Glas wiederspiegelt.”
Die Etouffé-Ente kommt mit roter Bete als Gel und einer dichten, hoch aromatischen Sauce Rouennaise aus dem Blut und der Leber des Federtiers aufs feine Porzellan. Das Fleisch ist auf den Punkt gegart, saftig mit leichtem Biss. Die schwere Süße der Sauce wird von der pikanten Säure der getrockneten Blaubeeren und kandiertem grünen Pfeffer gezähmt. In einem Blätterteigröllchen ruht die kongeniale Beilage in Form von grünen Bohnen und Entenconfit.
Wein-Aficionado Jalali sekundiert dieses Hochamt der Haute Cuisine mit einer 2013er Rotwein-Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Dunkelfelder von der Villa Wolf im pfälzischen Wachenheim. ‚Phaia’, nennt Winemaker Ernie Loosen diesen vielschichtigen, kräftigen Roten mit seiner schönen Balance zwischen Tanninen und Säure. Es ist der perfekte Begleiter zur Etouffé-Ente.
Den krönenden Abschluss bildet eine herrliche Kombination aus Basilikum-Sauerklee-Eis mit weißer Schokolade, Karotte in zwei Texturen, Ananas, warmem, gepopptem Weizen, Lavendel – und: Kopfsalat. Dieses Dessert ist eine herrliche Kombination aus Basilikum-Sauerklee-Eis mit weißer Schokolade, Karotte in zwei Texturen, Ananas, warmem, gepopptem Weizen, Lavendel – und Kopfsalat: ein betörendes Wechselspiel zwischen Obst, Eis und Gemüse. Dazu ein grandioser Riesling-Eiswein von Dr. Loosen aus Washington State: tief-golden im Glas, intensiv und opulent am Gaumen mit langem Finish.
„Die Gäste sollen über das Essen sprechen und sich Gedanken machen. Das ist wie ein Opernbesuch”, sagte Hendrik Otto vor zwei Jahren dem ‘Focus’. Besser könnte man das Menü mit seinen sechs Gängen im Gourmetrestaurant des ehrwürdigen Kempinski Cathedral Palace auch heute nicht zusammenfassen.
Fotos: Kempinski Hotels, Christian Euler