Die Stargeigerin Hilary Hahn brillierte im Baden-Badener Festspielhaus mit Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur. An ihrer Seite: Das Orchestre National de Lyon unter der Leitung von Leonard Slatkin.
Einen Monat vor ihrem vierten Geburtstag erhielt sie den ersten Unterricht, ihr erstes Rezital gab sie mit sechs Jahren. Mit zwölf debütierte das “Wunderkind” mit dem heimischen Baltimore Symphony Orchestra. Lorin Maazel kürte den damaligen Teenager zum “Jahrhunderttalent”.
Dem Nimbus des Wunderkinds längst entwachsen, verströmt die Violin-Virtuosin mit 37 Jahren auch heute noch die Aura liebreizender Jugendlichkeit. In den Spielpausen blickt sie verträumt-lächelnd auf die Musiker des Orchestre National de Lyon und Dirigent Leonard Slatkin. Bisweilen schiebt sie kurz ihre Hand in die Tasche ihres bodenlangen Kleides. Die dreifache Grammy-Gewinnerin genießt fühlbar den Augenblick.
„Was die Zuhörer nicht mögen, ist, wenn nichts rüberkommt, wenn die Musik nicht zu ihnen spricht“, erläuterte Hahn in einem Interview. „Für mich ist es daher spannend, die Stücke jedes Mal wieder neu zu gestalten. Die Emotionen müssen dabei ehrlich sein. Das ist für mich das spannende und inspirierende Ziel.“
Die Umsetzung dieser Maxime scheint ihr selbst in den schwierigsten Passagen des einzigen Violinkonzerts von Peter Tschaikowsky keine Mühe zu bereiten. Mit geradezu zerbrechlicher Leichtigkeit meistert sie die schnellen Tempi und spielt die höchsten Lagen gestochen sauber – technisch brillant, dabei gänzlich unprätentiös. Brandender Beifall des Publikums im Baden-Badener Festspielhaus, ebenso bei der zauberhaft interpretierten Partita Nr. 3 E-Dur von J. S. Bach, die Hilary Hahn als Zugabe wählt.
Nach der Pause schlägt die Stunde ihres Landsmann Leonard Slatkin und seinem Orchestre National de Lyon. Fast genau so dauert seine Aufführung der “Symphonie fantastique” von Hector Berlioz. Seine mehr als hundert Einspielungen gewannen sieben Grammy Awards und 64 Nominierungen für den wichtigen Musikpreis. In Frankreich wurde der 72-Jährige zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.
Ohne Partitur und mit zurückhaltendem Gestus lässt er seine rund 100 Musiker von der Leine. In wenigen Takten changieren sie von lieblichen Streicherträumen im Pianissimo über grandiose Crescendi zu siedender Leidenschaft und spiegeln so diese einem auskomponierten Delirium gleichenden Musik wider. Berlioz’ autobiographisch geprägte „Symphonie fantastique“ ist gleichsam der Archetyp der Programmmusik, in der Ekstase und tiefste Verzweiflung dicht nebeneinander liegen: Ein junger Musiker verliebt sich unsterblich in eine Frau, die das Idealbild der unerreichbar Geliebten verkörpert. Jeder Gedanke an sie wird zur ‚fixen Idee’, dem in allen Sätzen präsenten Motiv. Präzise und glasklar arbeitet der gewaltige, in jeder Instrumentengruppe hervorragend besetzte Klangkörper dieses zyklische Thema heraus.
„In der Musik gibt es keine Perfektion“, lautet das Credo von Maestro Slatkin, „wenn ich jemals mit dem Gefühl von der Bühne kommen würde, dass die Leistung dass die Leistung nicht hätte besser sein können, wäre es Zeit zu gehen.“ In Baden-Baden dürfte Slatkin allenfalls das etwas zu verhaltene Tempo am Ende des zweiten Satzes dazu veranlasst haben, nicht das Handtuch zu werfen. Die beiden Zugaben, zwei Arrangements aus der Oper Carmen kündigt er in fließendem Deutsch an. „Carmen goes Rodeo“, eine Art Wild-West-Version des Torero-Marsches stammt von Slatkins Vater Felix.
Titelfoto: (c) manolo press/Michael Bode