Zum Abschluss der Herbstfestspiele im Festspielhaus Baden-Baden zogen die Starviolinistin Anne-Sophie Mutter und das London Philharmonic Orchestra mit Robin Ticciati das Publikum in ihren Bann.
Selbst die Stehplätze wurden knapp im ausverkauften Festspielhaus. Mendelssohns Violinkonzert mit Anne-Sophie Mutter und Dvořáks berühmte neunte Sinfonie ‘Aus der Neuen Welt’ mit dem charismatischen Robin Ticciati am Pult zog Musikliebhaber in Scharen nach Baden-Baden. „Es soll ein Konzert sein, dass sich die Engel im Himmel freuen“, lautete die Botschaft Mendelssohns, der über sechs Jahre an seinem Violinkonzert arbeitete.
Anne-Sophie Mutter entdeckte es im zarten Alter von fünf Jahren. Ihre Eltern hatten sich die Langspielplatte zur Verlobung geschenkt. Auf derselben LP befand sich Beethovens Violinkonzert mit Furtwängler – die junge Anne-Sophie wusste sofort, dass die Violine ihre Berufung war. Ihre erste Aufnahme des Konzertes von Mendelssohn-Bartholdy stammt noch vom Beginn ihrer Laufbahn, als sie Anfang der 1980er Jahre mit Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern eine ganze Reihe großer Violinkonzerte bei der Deutschen Grammophon einspielte.
Nun also in Baden-Baden – genau in dem Jahr, in dem die viermalige Grammy-Gewinnerin ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum feiert. Im figurbetonten, bodenlangen und in silberschwarzen Mustern changierenden Abendkleid betritt sie die Bühne. Geistvolles Selbstbewusstsein strahlt sie aus, ebenso eloquent wie höchst präzise lässt sie die Musik in den schönsten Farben schimmern. Scheinbar mühelos meistert sie mit ihrer ‚Dunn-Raven’-Stradivari aus dem Jahr 1710 die höchsten Lagen. Robin Ticciati hält das London Philharmonic Orchestra im Zaum. Seine vornehm zurückhaltende Begleitung lässt der Solistin alle Freiheiten, die sie mit größter Souveränität für sich beansprucht. Ihre kühle Leidenschaft hüllt sie bisweilen gar in eine Aura des hochherrschaftlich Erhabenen.
“Dieses Dahinhuschende, Entschwebende, Geisterhafte ist enorm virtuos und diese Leichtigkeit eine Herausforderung für den Interpreten”, beschreibt Anne-Sophie Mutter den Finalsatz. Für sie ist es eine Musik, “die alles vereint, was große Musik ausmacht: Leidenschaft, Virtuosität, Reinheit des Ausdrucks, Tiefe der Empfindung, bedingungslose Hingabe an den musikalischen Ausdruck.” Ihr Spiel kommt diesen Attributen berückend nah.
Die Zugabe widmet die Stargeigerin den Opfern der Anschläge von Paris vor einem Jahr: „Der 13. November wird nie wieder der Gleiche sein.“ Während Johann Sebastian Bachs Sarabande in d-Moll ist kein Hüsteln, kein Rascheln, kein Räuspern zu hören – nichts. So ist es möglich, diese wunderbare Musik nicht nur zu hören, sondern förmlich zu inhalieren. Weniger Gnade zeigt das Publikum bei Dvořáks neunter Sinfonie „Aus der Neuen Welt“. Besonders schlimm ist es im betörenden Largo. Robin Ticciati hat das nicht verdient. Sensibel spürt seine Interpretation dem Fluss der Musik, der Poesie der Einfälle und Dvořáks Gespür für Melodik nach und bringt häufig verborgene bringt bislang verborgene Details zum Blühen.
Es ist eine Wonne zuzuhören, wie die Hauptmelodie zwischen den einzelnen Instrumentengruppen ‚weitergegeben’ wird. Herausragend sind die blitzsauber spielenden Blechbläser, die nie zu aufdringlich agieren. Einzig die Triangel drängt sich allzu forsch in den Vordergrund. Der überaus sympathisch wirkende Ticciati hält sich eng an die Partitur, was indes gelegentlich zulasten der Raffinesse geht. 2005 stand der 33-jährige Londoner als jüngster Dirigent der Geschichte am Pult der Mailänder Scala. Äußerliche Ähnlichkeiten mit dem zwei Jahre älteren Gustavo Dudamel sind nicht von der Hand zu weisen.
Mit Beginn der Saison 2017/2018 wird der jugendliche Star mit den Ringellocken Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters. Als Gastdirigent wird der von Colin Davis und Simon Rattle geförderte Mastro unter anderem mit Klangkörpern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, der Staatskapelle Dresden und den Wiener Symphonikern auftreten.
Wer mit Anne-Sophie Mutter sein Können zeigen darf, zählt ohnehin zu den besten seines Fachs. Gemessen am Beifall gefielen Ticciatis Landschaften musikalischer Schönheit den Baden-Badener Musik-Begeisterten gar besser als das Spiel der mit ungezählten Preisen ausgezeichneten Stargeigerin.
Titelfoto: Michael Bode