Mit Valery Gergiev am Pult und der Pianistin Lilya Zilberstein gaben sich am Freitag im Baden-Badener Festspielhaus zwei Stars der Szene die Ehre – nicht immer überzeugend.
„Ihr Konzert taugt nichts. Es lässt sich gar nicht spielen, die Passagen sind abgedroschen, plump und so ungeschickt, dass man sie nicht einmal verbessern kann.“ Mit diesen harschen Worten lehnte der Pianist Nikolai Rubinstein die Uraufführung des ersten Klavierkonzertes seines Freundes Peter Tschaikowsky am Weihnachtsabend 1874 ab. Die besondere Tragik der unverhohlenen Kritik: Tschaikowsky schrieb das Werk für seinen ehemaligen Lehrer.
Der sensible Komponist widmete sein Klavierkonzert 1 b-Moll op. 23 fortan dem Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow, der sich voll des Lobes zeigte: „Die Form ist so vollendet, so reif, so stilvoll.“ Damit traf er die Musik Tschaikowskys auf den Punkt: Das Werk sollte das berühmteste Klavierkonzert des Komponisten werden und avancierte zu einem der prestigeträchtigsten Klavierkonzerte des 19. Jahrhunderts überhaupt.
Im Festspielhaus übernimmt Lilya Zilberstein den Part der Solistin. Die 1965 geborene und bei Hamburg lebende Russin, ist auf den großen Podien dieser Welt zuhause, vor allem mit ihrer langjährigen Duopartnerin Martha Argerich feierte sie große Erfolge. Die Mutter zweier Söhne gehört zweifellos zu den Kapazitäten ihres Fachs.
Umso erstaunlicher gerät das Zusammenspiel mit Pultstar Valeri Gergiev und seinem Mariinsky-Orchester. Allzu oft kämpft Zilberstein wie eine Tasten-Amazone gegen die Dominanz der Musiker an. Man sieht, wie sie sich abmüht, anstrengt, körperliche Schwerstarbeit leistet. Nur hören kann man ihre Kunst in den lauten Passagen fast nicht. Ihr so viel gelobter Anschlag hat keine Chance gegen die massive Klangwand des Mariinsky-Ensembles. Bisweilen ist es gar das Orchester, das die Marschroute vorgibt, nicht – wie sonst üblich, die Solistin. Mezzoforte scheint die leiseste Tonstärke im Repertoire des Mariinsky-Orchesters, Pianissimo-Passagen – in der Partitur reichlich vorhanden – gehören an diesem Abend nicht zur Interpretation.
So lässt sich der kammermusikalische Duktus im Andantino des zweiten Satzes mit seinen dolcissimo-Passagen nur erahnen, die subtile Sensitivität bleibt förmlich auf der Strecke. Nur selten blitzt die bezaubernde Tonsprache Zilbersteins durch, die sie bekannt gemacht hat. Was an diesem Abend bleibt, ist ihre vulkanische Musikalität, ihre atemberaubende Fingerfertigkeit, die am Ende ein Stück Harmonie mit dem Orchester rettet.
Gern wüsste man, was in der Pause hinter den Kulissen passierte. Valeri Gergiev kommt wie ausgewechselt auf die Bühne. Berlioz’ “Symphonie Fantastique” steht auf dem Programm – vom Maestro just so interpretiert, wie man es von einem der besten seiner Zunft erwartet. Hector Berlioz spielt eine wichtige Rolle in der Musikgeschichte der Stadt Baden-Baden, besuchte er das Oos-Tal zwischen 1853 und 1863 doch immerhin neunmal und leitete hier sieben Sommer-Festivals.
1830, Berlioz war erst 27 Jahre alt, entstand mit der “Symphonie Fantastique” eines der einflussreichsten Werke des 19. Jahrhunderts. Der Komponist revolutionierte die romantische Instrumentationskunst und etablierte mit dem Werk die Programmmusik, eine Musik, die eine außermusikalische Geschichte mit rein musikalischen Mitteln nacherzählt. Gleichzeitig betrat er mit der von ihm so genannte “idée fixe” Neuland: eine leitmotivische Melodie, die in sämtlichen Sätzen erklingt.
Der musikalische Narrativ, von Berlioz “Episoden aus dem Leben eines Künstlers” genannt, hat stark autobiographische Bezüge: Der Komponist hatte sich unsterblich in die englische Shakespeare-Schauspielerin Harriet Smithson verliebt, die ihn lange nicht erhörte. Zunächst schmerzliche Obsession, wurde sie später schließlich 1833 doch seine Frau – nicht ohne die Nerven des Komponisten bis zum Äußersten zu belasten: Noch kurz vor Hochzeit zweifelte die Angebetete an Berlioz’ Liebe, worauf dieser eine Überdosis Opium nahm und nur durch ein Brechmittel gerettet werden konnte.
Der Held der „Symphonie Fantastique“ versucht ebenfalls, seine Leiden mit Opium zu betäuben und durchlebt daraufhin teils infernalische Visionen. Der vielfach ausgezeichnete Gergiev und sein Mariinsky-Orcherster zeichnen das mit viel Leidenschaft nach und bringen den Irrwitz der “Fantastischen Sinfonie” musikalisch auf den Punkt.
Opulent besetzt, allein neun Kontrabässe sind mit von der Partie, wird das musikalische Epos zu einer Tour de Force – mit einer Dynamik, die vor der Pause gänzlich fehlte. Auch das Blech, bei Tschaikowsky oft zu aufdringlich, reiht sich ein in das Spiel der exzellenten Holzbläser ein. Gergiev, der mit Beginn der kommenden Saison Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wird, gönnt dem Orchester die Lust am Klang und setzt die widerstreitenden Passionen des Berlioz’schen Alter Ego nachgerade plastisch um.
Ganz in seinem Element zeigt sich Gergiev auch bei der Zugabe, dem “Rakoczi Marsch” von Hector Berlioz aus der Oper La Damnation de Faust: mitreissende Dynamik und die pure Spielfreude.
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