“Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.”
Lucius A. Seneca
Der November hat so etwas Belebendes und Warmes an sich: Die Feuchtigkeit der Regenzeit schwindet und die Temperaturen werden mit ihren 25°C wieder erträglicher. Sonnenstrahlen kokettieren mit tanzenden Schmetterlingen, die sich an der Farben- und Duftpracht blühender Tropenpflanzen berauschen. Und vom Meer her weht eine frische Brise über meinen Bildschirm, als möge sie mit den Zahlen im Excel-Sheet spielen. Es ist 14 Uhr am Ao Nang Beach in Thailand, als meine Berufskollegen im herbstlichen Frankfurt noch in der U-Bahn stehen – willkommen im Arbeits-Paradies! Eine Utopie? Gelebter Alltag!
Niemals zuvor war es so einfach möglich, seinen Traum vom Savoir-Vivre im Süden zu leben und im Idealfall gleichzeitig seinen Lebensunterhalt zu „er-traden“. Die Infrastruktur wird weltweit immer leistungsfähiger, das WLan-Netz immer ausgedehnter. Das erlaubt es vor allem Feiberuflern, sich an den schönsten Flecken der Welt niederzulassen und umso entspannter ihrer täglichen Fron nachzugehen. Wie gut, dass die täglichen Lebenshaltungskosten in vielen Urlaubsregionen weitaus günstiger sind als im deutschsprachigen Raum! Deutsche Honorare bei asiatischen Nebenkosten – das hat wahrhaftig etwas Paradiesisches an sich.
Nehmen wir als Beispiel die schreibende Zunft. Seit mehr als zwölf Jahren ziehe ich als Finanz- und Reisejournalist um die Welt. Stets mit dabei: Mein Laptop und meine TANs. Doch Achtung – auch wenn ein Strand noch so sehr mit seinen Reizen lockt: Selbstdisziplin ist auch im Süden gefordert! Ich gehe meinen Tag so an, dass sich Recherche, Schreiben und eine gesunde Lebensweise harmonisch miteinander vereinen. Morgens gehe ich eine Stunde Joggen und Schwimmen, dann gebe ich mich meinem Frühstück im Freien hin: Mangos, Papaya, Ananas, Bananen, Drachenfrüchte. Einfach das, was die Natur mir auf ihren Tablett darreicht.
Das Ganze untermalt vom Geschrei kleiner Wellensittiche, die in den Palmen rumtollen und das machen, was man auch als Mensch tun sollte: Sein Leben leben, sein Dasein genießen. Mit einem Tässchen japanischen Grüntee in der Hand überfliege im Internet ausschließlich die notwendigsten Nachrichten aus Europa. Meistens genügt mir schon die Überschrift der Boulevard-Gazetten. Dann weiß ich, was die Landsleute im nasskalten Deutschland – außer dem Wetter – ängstigt. Die Sonne lacht, während ich bei meiner täglichen Aktienanalyse die Kursdaten der europäischen Werte und Indizes auf mich wirken lasse. Der Handel in Frankfurt beginnt erst zur thailändischen Siesta-Zeit am Nachmittag. So kann ich die Kurse am Vormittag in aller Ruhe analysieren und meine Handelsstrategie festzurren; kann Mails in Ruhe beantworten, Arbeiten erledigen. Und dann? Tja, dann gebe mich einer Siesta hin; die Hitze macht müde.
Irgendwann während des deutschen Morgens trudeln die ersten Mails meiner Arbeitskollegen ein. Dann ist es 16 Uhr am Strand in Thailand. Ich höre die Wellen rauschen und lasse meinen Gedanken freien Lauf: keine Barrieren, keine Grenzen – ein überwältigendes Gefühl. Wundert es bei solchen Voraussetzungen, dass man gerade als Freiberufler dem Lockruf des Südens erliegt? Auch Marc Faber, bekannter Börsenanalyst, Investor, Querdenker und „ungekrönter König der Emerging Markets“ erlag dem Reiz der Tropen: In Chiang Mai, einem 150.000 Seelen-Städtchen im Norden Thailands, hat er bereits vor vielen Jahren eine neue Heimat gefunden.
Aber da ist noch mehr als nur Meer und Sonne: Es ist der Reiz, ein selbstbestimmtes Leben an einem exotischen Ort zu leben, mit dessen Magie sich andere Zeitgenossen nur während ihres Urlaubs umgeben dürfen. Die Folge: Man ordnet die Rangliste der eigenen Wichtigkeiten neu, man wird bescheidener. Umarmt und geliebt von Mutter Natur lernt man, bislang alltägliche Dinge des Lebens aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten – auch Nachrichten aus der Welt der Politik und Finanzen. Das Fehlen des ständigen „Berieselt Werdens“ aus der Medienwelt lädt zum eigenständigen Denken ein. Bisherige Ansichten werden überdacht; Nachrichten hinterfragt, eigene Gedanken geboren – die Tropen haben schon so manchen Querdenker hervorgebracht.
Abgeschieden vom ständigen Newsflow entwickle ich meine ganz eigenen Arbeitsstrategien und lasse mich bei meinen Gedanken weniger von den „Stimmen der Anderen“ lenken und leiten. „Es ist nicht alles Gold was glänzt…“, mag man an dieser Stelle einwerfen. Dem stimme ich zu. Es gibt viel Armut und Ungerechtigkeit; davor darf niemand seine Augen verschließen. Während ich das Leid in Schwellenländern hautnah miterlebe, wundere ich mich darüber, wie schnell es einer Handvoll Regierungen gelungen ist, Steuerparadiese auszurotten. Ein Land, das nicht mitzieht, wird wirtschaftlich boykottiert. Und ich wundere mich gleichsam darüber, dass es auch heute noch immer Länder gibt, in denen Kinder arbeiten müssen und Hunger leiden.
Und ich wundere mich über die Unzufriedenheit, der sich die Bevölkerung in zivilisierten Ländern freiwillig aussetzt: Bringt eine Designerlampe im Wohnzimmer wirklich einen Mehrwert an Lebensfreude? Eine Studie des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup ging 2012 der Frage nach: „Wo leben die glücklichsten Menschen der Welt?“ Dieser Studie nach finden sich die glücklichsten Zeitgenossen in Lateinamerika und Asien; auch lachen die Menschen dort offenbar am häufigsten. Paraguay und Panama übernehmen die Führerschaft des Zufriedenseins. Deutschland landet auf Platz 47 – materieller Reichtum alleine macht offenbar doch nicht glücklich.
Es ist kurz nach 20 Uhr am Ao Nang Beach in Thailand. Ich sitze an einem einfachen Holztischlein am Meer unter einer Palme, ein Gläschen Shiraz genießend und lasse meinen Arbeitstag Revue passieren. Und über mir funkeln Tausende kleiner und kleinster Sterne – Luxus hat viele Gesichter, das ist eines davon. Es ist Spätherbst in Europa und ich denke mir: Mit Niemandem in Deutschland wäre ich jetzt bereit zu tauschen!
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