„Lübecks schöne Tochter“ ist nicht nur im Sommer eine Reise wert. Der strahlende Herbst mit seinem goldenen Licht verleiht dem Seebad eine ganz besondere Aura.
Für Thomas Mann war Travemünde ein Kindheitsparadies. In seinem 1926 erschienen Essay „Lübeck als geistige Lebensform“ titulierte es der Literaturnobelpreisträger als „Ferienparadies, wo ich die unzweifelhaft glücklichsten Tage meines Lebens verbracht habe.“ Heute zählen die 1187 gegründete Stadt und ihr Umland zu den beliebtesten Feriendestinationen Deutschlands. 2017 verzeichnete Travemünde 625.000 Übernachtungen in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen rund – 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr.
Zu den ersten Häusern am Platz gehört das geschichtsträchtige Atlantic Grand Hotel. Das direkt an der Strandpromenade gelegene mondäne Jugendstilgebäude steht unter Denkmalschutz und kann auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken. 470.000 Goldmark hatte sich die Lübecker Bürgerschaft im Jahr 1914 das damalige „Conversationshaus“ kosten lassen, das fortan der neue Anziehungspunkt von Travemünde werden sollte. Während des Zweiten Weltkrieges wurde es als Lazarett genutzt, später von den Briten zur Truppenbetreuung. In der Nachkriegszeit verwandelte es sich zum Casino, während sich im Nightclub „La Belle Époque“ Stars wie Kirk Douglas, Curd Jürgens, Marlene Dietrich, Sophia Loren oder Aristoteles Onassis vergnügten.
Teils ist der Charme der guten alten Zeit noch zu spüren, etwa auf der großzügigen Holztreppe, die zu den Zimmern führt, beim Blick auf Stuckdecken, Kronleuchter – oder im wohl schönsten Ballsaal an der Ostsee. Die 72 Zimmer und Suiten sind klassisch, modern oder im Landhaus-Stil eingerichtet. Leider nur zwölf davon bieten Meerblick. Es ist baulich bedingt, sagt Hotelchef Kay Plesse, der im September vergangenen Jahres die Regie im Atlantic Grand übernahm und in seiner knappen Freizeit gern die Top-Hotels in den Vereinigten Arabischen Emiraten besucht. Die Ostsee ist Plesse nicht fremd, bis 2010 leitete er die Geschäfte im Schlossgut Groß Schwansee an der mecklenburgischen Ostseeküste, bevor die Berufung zum Hoteldirektor des Best Western Premier Seehotel Krautkrämer in Münster folgte.
„Wir müssen und möchten nicht in Sterne-Klassifizierungen denken. Denn damit sich der Gast bei uns wohlfühlt, brauchen wir keinen Stern“, meint Plesse selbstbewusst. Die durchschnittliche Auslastung von 65 Prozent gibt ihm Recht. Das Gros der Gäste kommt aus Deutschland, allen voran Hamburger, die immer wieder gern an die Ostsee kommen. Im Restaurant Holstein’s mit seiner Panoramaterrasse zur Ostsee setzt seit März dieses Jahres Executive Chef Konstantin Schulze-Pellengahr auf eine Fusionsküche aus norddeutschen Zutaten mit internationalen Spezialitäten. „Mit ihm trägt nun ein norddeutsches Original die Verantwortung in unserem Restaurant, das weiß, die regionale Küche sowohl klassisch als auch modern zu interpretieren“, schwärmt sein Chef.
Seinen Kochstil beschreibt der Küchenchef als klassisch, französisch mit dem Einfluss des norddeutschen Flairs. „Qualität bedeutet für mich Liebe zum Produkt und ein hervorragendes Team für die Umsetzung“, so Schulze-Pellengahr, dem ein 19-köpfiges Team zur Seite steht. Die Geschmack gewordene Umsetzung dieser Maxime sind Gerichte wie „Gebratener Seeteufel mit glasierten Zuckerschoten, sardischen Nudeln und Safranschaum“ oder „Tranchen vom Kalbsrücken mit Broccoli, Macaire-Kartoffeln und Schalotten-Confit.“ Den größten Teil seiner Zutaten bezieht der junge Küchenkünstler von lokalen Erzeugern. So spielen Wild aus den heimischen Wäldern, das Holsteiner Rind, Grünkohl oder fangfrischer Ostseefisch eine zentrale Rolle in seinem kulinarischen Konzept. Erfahrungen sammelte er nicht zuletzt bei Michel Roux im mit drei Michelin-Sternen dekorierten The Waterside Inn in Großbritannien und als Sous-Chef in der Zwei-Sterne-Küche des Luxushotels „Paradies“ im Engadin.
Für die kongeniale Ergänzung in Sachen Hochprozentiges sorgt das Barchef-Duo in der Seven C’s Bar. Nico Damerow und Dennis Lahyani haben ein überaus gutes Händchen für den richtigen Mix wie den Signature Drink Cherry Negroni aus Sloe Gin, Campari, Cherry Heering, Kirschbrand und Cherry Bitters. Wer die im Restaurant und in der Bar angehäuften Kalorien nicht im 600 Quadratmeter großen Wellnessbereich mit seinem 20 Meter langen Pool abtrainieren mag, findet direkt vor dem Hoteleingang genügend Alternativen. Schwimmen in der Ostsee beispielsweise, Fahrradfahren entlang des Brodtener Steilufers bis zum Niendorfer Fischereihafen und weiter bis zum Timmendorfer Strand – oder Golfen auf Deutschlands ältestem Parcours aus dem Jahre 1921.
Unbedingt empfehlenswert ist eine Fahrt mit dem Fischkutter nach Lübeck. Besonders kurzweilig ist die Passage mit Hendrik Schött. Der Gründer und Chef seiner gleichnamigen Wasserschule ist um keinen Spruch verlegen, gibt auf herzerfrischende Weise sein Wissen weiter – und lässt seine Passagiere das hölzerne Steuerruder übernehmen. Vorbei am Skandinavienkai, dem größten Fährhafen der Ostsee, führt die rund eineinhalbstündige Kurzreise entlang der idyllischen Landschaft des unteren Travelaufes nach Lübeck.
Mit 1800 denkmalgeschützen Gebäuden gehört die 1143 gegründete Hansestadt zum UNESCO Weltkulterbe – und ist bekannt als Mekka des Marzipans. Das Marzipanhaus Niederegger produziert Tag für Tag rund 300 verschiedene Produkte aus 30 Tonnen Marzipan. Große Aufmerksamkeit widmet Lübeck seinen drei Nobelpreisträgern Thomas Mann (Literatur, 1929), Altkanzler Willy Brandt (Frieden, 1971) und Günter Grass (Literatur, 1999). Das Literaturmuseum “Buddenbrookhaus” und das Günter-Grass-Haus locken Kulturinteressierte aus aller Welt, während sich das Willy Brandt-Haus als Ausstellungs- und Forschungsstätte versteht.
Nach einer 20-minütigen Autofahrt zurück nach Travemünde lässt sich der Nachmittag besonders stilvoll an der „Vorderreihe“ genannten autofreien Uferstraße entlang der Trave ausklingen. Doch Vorsicht: Der Blick auf die nur wenige Meter entfernten riesigen Ostseefähren, die im Schritttempo die Travemündung hinaus tuckern und Kurs auf Schweden, Finnland und St. Petersburg halten, kann süchtig machen.