Seit Ende September läuft die Neu-Ausrichtung im Vorzeigerestaurant der feinen Villa Rothschild, die ab Anfang 2020 zur Autograph Collection gehören wird. Ein Besuch in Königstein.
Neue Zeiten stehen nicht nur im Restaurant bevor, das nun “Grill & Health” heißt. Der Management-Vertrag mit Kempinski wird nur noch bis Ende 2019 fortgeführt. Danach beschreitet man neue Wege mit der Autograph Collection, der Luxusmarke des weltgrößten Hotelkonzerns Marriott International. “Es wird ein Lizenzvertrag sein‚ der uns alle Freiheiten lässt“‚ begründet Stefan Massa‚ geschäftsführender CEO bei Broermann Hotels & Resorts‚ die Entscheidung.
Vorbei sind die Zeiten der zwei Michelin-Sterne, mit denen die herausragende Küche von Christian Eckhardt im Gourmetrestaurant der Villa Rothschild ausgezeichnet wurde. Seit September vergangenen Jahres setzt man auf das Motto „Casual Fine Dining“. Geblieben ist das Logo – und glücklicherweise der 2013 zur Villa Rothschild gestoßene Sommelier und gastronomische Leiter Benjamin Birk mit seiner über 400 Positionen umfassenden Weinkarte. Niemals aufdringlich, aber immer aufmerksam ist der wohltuende Weinkenner immer für einen kurzen Fach-Plausch zu haben. Überhaupt agiert der Service nach wie vor auf Sterne-Niveau.
Auch mit Blick auf die Architektur geht man gänzlich neue Wege. Allein der holzbefeuerte, handgefertigte Solitärkamin mit raumhoher Messinghaube verschlägt schon vor dem ersten Nippen am Aperitif die Sprache – ein wahres Meisterwerk. Geölte Dielenböden aus einheimischer Eiche schaffen Wertigkeit und Wohlgefühl – während dezente Naturtöne, verbunden mit Rot- und Goldakzenten, zum Gefühl tiefer Gemütlichkeit beitragen. Ein Blickfang sind auch die beleuchteten Weinschränke und der Bartresen aus massivem, in Olivenöl eingelassenem Nussbaumholz.
Als Behaglichkeit ohne Protz oder luxuriöse Nonchalance lässt sich die Atmosphäre im neuen Restaurant der Villa Rothschild mit seinen 60 Sitzplätzen auf den Punkt bringen. Schwellenangst ist fehl am Platze‚ auch wenn das Fünfsterne-Boutiquehotel seit 1949 als Wiege des deutschen Grundgesetzes und der Bundesrepublik gilt. Zuvor hatten sich Politiker-Granden wie Theodor Heuss und Ludwig Erhard mit Diplomaten aus der ganzen Welt getroffen und mit der Unterzeichnung der Gründungsverträge die Bundesrepublik aus der Taufe gehoben.
Sollte die Kulinarik nicht diesem außergewöhnlichen Nimbus folgen? Doch der Griff zu den (Michelin)Sternen, per gloria ad astra gleichsam? Derlei Auszeichnungen sind nicht das primäre Ziel des Küchenteams um Sebastian Prüßmann, sagen der Herr der Herde und das Hotelmanagement einstimmig. Der 37-Jährige, der vor seinem Villa Rothschild-Debüt im vergangenen Frühjahr in der Zirbelstube im Stuttgarter Schlossgarten-Hotel einen Stern erkocht hatte, verlässt den Pfad der Haute Cuisine und zeigt sich breiten-kompatibel.
„Geschmack muss die Kernbotschaft sein“, lautet dennoch seine Maxime. Dass er die dafür nötigen Voraussetzungen mitbringt, zeigt nicht nur seine Bewertung in Stuttgart. Die Drei-Sterne-Köche Dieter Müller und Nils Henkel im Schlosshotel Lerbach perfektionierten seine Kochkompetenz, die der Guide Michelin 2011 erstmals mit einem Stern auszeichnete. Damals wirkte Prüßmann in der Villa Hammerschiede im Pfinztal – und lernte Sommelier Benjamin Birk kennen. In der Villa Rothschild haben sie sich wiedergefunden.
Den Cocktail genießt man vorzugsweise am Kamin. „Green Dreams“ etwa, ein Sake mit Thomas Henry-Tonic, Salbei, Rosmarin und Holunderblüte. Das Dinner startet mit Bio-Sauerteigbrot aus Nürnberg, Dinkelweißbrot, Frankfurter „Grie Soß“ aus sieben Kräutern und in Apfelwein eingelegtem Schinken. Der zum Brot gereichten Nussbutter fehlt ein wenig das Aroma der namensgebenden Frucht.
Es folgt ein fast transparentes, asiatisch aromatisiertes Thunfisch-Carpaccio, das Lust auf mehr macht. Zum Beispiel auf den feinen europäischen Hummer, den Sebastian Prüßmann mit einer Sauce Choron gratiniert und mit jungem Spinat und einer Krustentier-Bisque erweitert. Sommelier Birk sekundiert mit einem vortrefflichen, auf der Maische vergorenen und biodynamisch ausgebauten Sauvignon Blanc von Andreas Tscheppe aus der Südsteiermark. Die hausgemachten Spaghettini mit Trüffeln wirken zu trocken und dürften gern mit einer Sauce oder Butter verfeinert werden – zumal das Trüffelaroma zu stark von der kräftigen Pasta dominiert wird.
Dem eher unspektakulären gegrillten Rinderfilet stellt der Küchenchef mit der alten rheinischen Spezialität „Döppekuchen“ eine Reminiszenz an seine Heimat zur Seite: ein Kartoffelpuffer mit Zwiebel, Speck und Muskat. Dazu ein Val Sotillo aus den Bodegas Ismael Arroyo, einer der Lieblingsweine von Benjamin Birk. Die Trauben von durchschnittlich 40 Jahre alten Reben ergeben einen vielschichtigen Wein voller Charakter und Eleganz. Die vegetarische, „Health“ genannte Alternative kommt in Form einer gekonnt in Szene gesetzten im Salzteig gebackenen Rote Bete mit Couscous, Ziegenfrischkäse und Kalamata-Oliven auf den Teller.
Ein intensiver Abschluss ist die Crème brulée aus weißer Schokolade, zu der man sich den neuen Kaffee nicht entgehen lassen sollte. Die brasilianische Spezialität aus der handverlesenen gelben Kaffeekirsche stammt aus der Manufaktur „Röstwerk“ von Sven Herzog und stellt einen wahren Quantensprung zu dem koffeinhaltigen Heißgetränk des früheren Restaurants dar.
Per gloria ad astra, lautete die Frage vor dem Besuch im Restaurant. Noch ist der kulinarische Genuss nicht ganz auf Augenhöhe mit dem atemberaubenden Ambiente des Restaurants. Doch das dürfte nur eine Frage der Zeit sein, denn das Villa-Rothschild-Team, so die Verantwortlichen, befinde sich noch in der Findungsphase.
Nach wie vor ein großes Vergnügen bleibt zweifellos, den Abend in einem der 22 Zimmer bzw. Suiten der Villa Rotschild Kempinski ausklingen zu lassen. Inmitten französischer Stilmöbel und Seidentapeten sowie Gardinen aus französischen „Toile-de-Jouy“-Stoffen fühlt man sich in die Atmosphäre der Kaiserzeit zurückversetzt.
Fotos: Villa Rothschild Kempinski, Christian Euler (1)