Im Rahmen der großen Tschaikowsky-Nacht begeisterte der serbische Geiger Nemanja Radulović das Publikum im Mannheimer Rosengarten.
Mit seinen hauteng anliegenden Lederhosen und –stiefeln‚ Ohrsteckern und seiner langen schwarzen Lockenmähne würde Nemanja Radulović einem Rockstar alle Ehre machen. Man könnte ihn sich gut an der Seite der Led Zeppelin-Heroen Jimmy Page und Robert Plant vorstellen. Andere halten den 32 Jahre alten Virtuosen für die Inkarnation Niccolò Paganinis‚ was der Sache schon näher kommt. 2015 wurde Radulović mit einem Echo Klassik als Nachwuchskünstler des Jahres ausgezeichnet. Seither hat er die bedeutendsten internationalen Konzertpodien erobert und mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft einen weltweiten Exklusivvertrag abgeschlossen.
Nun also Mannheim im Rahmen der Pro Arte-Konzertreihe. Im Gepäck Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur – eine Komposition aus dem Jahr 1878‚ die die übersprudelnde Energie und Lebensfreude des russischen Großmeisters der Romantik nach einer vorangegangen psychischen Krise reflektiert.
Mit filigran und blitzsauber ausgespielten Sechzehntelläufen und der glühend emotionalen Intensität seines Spiels zieht er das Publikum in seinen Bann. Selbst das gerade in der Winterzeit allzu häufig vernehmende Husten und Räuspern des Publikums lässt er verstummen. Den ersten Applaus gibt es bereits nach dem ersten Satz. Unüblich – und man fragt sich‚ ob es auf der Unkenntnis einiger Zuhörer beruht oder weil sich manche einfach nicht zurückhalten konnten.
Seinen großen musikalischen Erzählwillen und seine überbordende Expressivität unterstreicht Radulović durch eine Interpretation‚ die Raum für extralange Fermaten und eine Dynamik in Tempo und Artikulation lässt‚ die über die Partitur hinausgehen. Valerij Poljanski und seine Russische Staatskapelle Moskau geben ihm alle dazu notwenigen Freiheiten und halten sich stets im Hintergrund. Die Bühne gehört allein dem bei Paris lebenden Serben.
Immer wieder kommuniziert er mit lächelndem Blick mit den Musikern. Elegant und leicht wirkt sein musizieren. Selbst die geradezu subtile Art‚ wie er sein schwarzes Taschentuch aus seiner Jacke zieht‚ um den Schweiß abzutupfen‚ birgt höchste Anmut. Seine wallende Haarpracht‚ die er teils wie ein Headbanger hin- und herwirft‚ kommt seiner schwindelerregenden Bogenführung nicht in den Weg. Das war nicht immer so. Ein Duett mit einem Pianisten endete als Klaviersolo‚ erzählte er in einem Interview‚ weil sich sein Bogen in einer der Klammern verfing‚ die die Mähne zügelten.
Im Alter von sieben Jahren begann er – eher zufällig – das Geigenspiel. Nach zwei Wochen hatte er bereits das Ende des dreijährigen Kurses erreicht. Die Bühne wurde schnell zu seiner Leidenschaft: „Ich erkannte, dass ich Menschen zum Lachen bringen konnte. Ich spürte, dass ich Menschen zum Weinen bringen konnte. Ich habe nie etwas anderes entdeckt, wo man so viel Emotion empfinden kann.“ Neunjährig nahm er an seinem ersten internationalen Wettbewerb im italienischen Stresa teil und debütierte mit Paganini.
Seine Wirkung auf das Publikum‚ die auch in Mannheim spürbar ist‚ bringt er so auf den Punkt: „Ich möchte nur, dass die Zuhörer wahre Emotionen empfinden durch die Musik, die ich bei einem Konzert spiele. Und ich hoffe, das kann ihnen helfen, einige Probleme ihres Alltagslebens zu vergessen.“
Am Ende seines Parforcerittes bedankt er sich zuerst bei den Musikern und dem Dirigenten dann Verbeugung. Der lang anhaltende Applaus des begeisterten Publikums bringt ihn noch einmal auf die Bühne zurück‚ wo er die Caprice Nr. 24 von Niccolò Paganini in a-Moll zum Besten gibt. Rasend schnelle Tonleitern, atemberaubende Fingerpizzicati‚ dazu sein exzentrischer Gestus: Jetzt gleicht Radulović noch mehr der Inkarnation des wohl ersten Superstars der Musikgeschichte. Doch während Paganini als kleiner, hagerer und totenbleicher Mann mit ausgefallenen Zähnen wohl wenig zu verzücken vermochte‚ gleicht der grazile‚ auf der Bühne fast ätherische wirkende Serbe einem Engel mit schwarzen Haaren.
Titelfoto: Milan Djakov (DG)