Harald Wohlfahrt gilt als lebende Legende der Haute Cuisine und dürfte für sein Gourmetrestaurant Schwarzwaldstube in Kürze zum 24. Mal in Folge mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet werden. Ein Gespräch über Erfolg, die Champions League der Köche und kritische Gäste.
Dieser Tage werden Sie 61 Jahre alt. Andere in diesem Alter sind zumindest gedanklich schon in Rente.Haben Sie schon mal ans Aufhören gedacht? Nein, so lange mir der Erfolg treu bleibt, gibt es keinen Grund aufzuhören. Ich habe oft gesagt: In jedem Jahr, in dem wir drei Sterne bekommen, bleibe ich dabei – aber wenn der dritte Stern geht, gehe auch ich. Allerdings übertrage ich meinem Küchenchef Torsten Michel längst immer mehr Verantwortung.
Sind zwei Sterne für Harald Wohlfahrt überhaupt vorstellbar? Wenn der Guide Michelin die Schwarzwaldstube nach 24 Jahren mit nur noch mit zwei Sternen versehen würde, käme das doch einem Sakrileg gleich. Sterne kommen und gehen – egal auf welchem Niveau. Daher darf man darf nie nachlassen und muss immer wach und am Puls der Zeit bleiben.
Wie motivieren Sie Ihr Team, sich dieser enormen Belastung auszusetzen? Sie müssen sie an sich binden. Mein Küchenchef Torsten Michel ist seit über 10 Jahren an meiner Seite und meine rechte Hand in der Küche. Patissier Pierre Lingelser ist seit 20 Jahren hier. Sie müssen die Menschen fördern, auch finanziell. Sommelier Stéphane Gass ist sogar schon 25 Jahre in der Schwarzwaldstube. Das sind Glücksgriffe.
Ihre früheren Schüler sind mit insgesamt rund 75 Michelin-Sternen ausgezeichnet worden. Wie spüren Sie immer wieder solche Mitarbeiter auf? Wir sind nicht Hamburg oder München, sondern ein kleines Städtchen im Schwarzwald. In der Gastronomie haben wir einen Stellenwert wie Bayern München oder Borussia Dortmund im Fußball. Das bedeutet: Die jungen Menschen, die hier her kommen, wollen in die Spitze und sind entsprechend motiviert. Meine Begabung ist es, diese Menschen zu integrieren und ihnen Vertrauen zu schenken. Zu 95 Prozent geht das gut.
Nachwuchs zu finden, ist angesichts überdurchschnittlich langer Arbeitszeiten nicht einfach. Bei den Auszubildenden bricht jeder zweite Koch ab, heißt es in der Branche. Vor sechs bis sieben Jahren wurden in Deutschland rund 18.000 Köche ausgebildet, heute ist es nur noch die Hälfte. Wenn die Wirtschaft läuft, geht es der Gastronomie schlecht – gerade wegen der antizyklischen Arbeitszeiten. Glücklicherweise bin ich in der Lage, Fluktuationen ersetzen zu können.
Wie bezeichnen Sie Ihren Führungsstil? Ich sehe mich als antiautoritären Chef – was aber nicht heißt, dass ich nicht sage: Leute, so nicht! Ich gehe auch keinem Streit aus dem Weg, doch ich provoziere nicht. Ich weiß, wie sich ein Mitarbeiter fühlt, wenn er nur getriezt wird. Trotzdem muss man den Leuten deutlich sagen, wo es langgeht…
… was aber ohne ein gewisses Maß an Autorität kaum funktionieren dürfte. In der Hierarchie halten wir den Ball sehr flach. Wir sind ein Team, einer steht für den anderen ein. Das klappt aber nur, wenn die Disziplin stimmt. Diskussionen darf es während des Betriebs nicht geben, Kompromisse gibt es nur außerhalb der Servicezeiten. Bisher ist es mir gut gelungen, die Teams immer wieder neu aufzustellen und weiterzubringen. Eine Stagnation hat es nie gegeben.
Missgeschicke in Ihrer Küche werden sich trotzdem kaum vermeiden lassen. Man kann nicht alle Pannen ausschalten. Gestern zum Beispiel war eines unserer Artischockenpürees nur lauwarm. Man muss gleichzeitig Fuchs und Hase sein – jeden Tag. Denn an dem Tag, wo ich mich fallen lasse, falle ich gleich zweimal. Wenn die Mitarbeiter merken, dass ich nicht präsent bin, lassen sie schnell Fünf gerade sein. Es ist wie im Spitzenfußball. Wenn nicht jeder im Team den absoluten Siegeswillen verinnerlicht, hat man keine Chance.
Um im Bild zu bleiben: Sie spielen seit Jahrzehnten in der Champions League, Patzer können Sie sich kaum leisten, wenn Sie an der Spitze bleiben wollen. Bringt Sie das bisweilen um den Schlaf? Ich bin seit mittlerweile 40 Jahren dabei. Das macht mich gelassener. Heute kann ich sagen: Egal wer antritt, keiner kann mehr erreichen. In die prekäre Situation, das Image der Schwarzwaldstube und der Traube Tonbach zu verspielen, werde ich mich sicherlich nicht bringen lassen.
Kritiker nehmen auch bei Ihnen kein Blatt vor den Mund. Wie gehen Sie damit um? Gastronomiekritik ist immer subjektiv. Schön ist was gefällt, Objektivität gibt es nicht. Ich muss mich täglich hinterfragen und die Kritik annehmen. Zum Ende eines Menüs komme ich immer an den Tisch. Wenn ein Gast ein ernsthaftes Problem hat und es mir dann nicht sagt, kann ich ihm auch nicht mehr helfen. Mehr kann ich nicht tun.
Gibt es Gäste, denen es in der Schwarzwaldstube gar nicht gefallen hat? Böse Kritik kenne ich eigentlich nicht. Ist sie fundiert, bin ich gut beraten, genau hinzuhören. Es gibt keine günstigere Produktüberwachung.
Titelfoto: René Riis