Das Kleinwalsertal gehört zu Österreich, ist aber kurioserweise nur über eine Straße von Deutschland zu erreichen. Über 1000 Meter hoch gelegen und gerade mal 15 Kilometer lang, zählt es zu den drei beliebtesten Touristen-Regionen der Alpenrepublik.
Das nach dem gleichnamigen Bergmassiv benannte Ifen Hotel liegt punktgenau 1111 Meter über dem Meeresspiegel. Das Haus mit seinem charakteristischen Rundbau über dem Tal blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Der Hannoveraner Architekt Hans Kirchhoff hat das bisher einzige Fünf-Sterne-Haus im Kleinwalsertal bereits 1936 erbaut. Es ging schnell aufwärts, schon bald gingen Industrielle und Adelige dort ein und aus. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus beschlagnahmt und diente als luxuriöses Gefängnis für Politiker.
Bis in die Mitte der Neunzigerjahre florierte das Ifen Hotel. Doch dann ging es abwärts, 2005 musste es schließen und wurde abgerissen. Warum genau, darüber gibt es unterschiedliche Spekulationen. Wegen finanzieller Schieflagen, munkelte man im Kleinwalsertal. Als neuer Betreiber investierten die Travel Charme Hotels & Resorts rund 38 Millionen Euro in die konzeptionelle Neugestaltung mit 125 Zimmern und Suiten. Heute sorgen breite Panoramafenster und helle Holzfußböden für unaufdringlichen Luxus und holen die Natur ins Innere.
Ifen-Chefkoch Sascha Kemmerer kocht seit 17 Jahren in der Sternegastronomie: „Bis heute waren es zehn Sterneläden“. Die Kilian Stuba, in der er sich mit seiner Mannschaft seinen ersten Michelin Stern in leitender Funktion sicherte, hat der gebürtige Münchner längst in der Spitzengastronomie positioniert.
Während seiner Ausbildung, zwischen 1997 bis 2000, arbeitete Kemmerer nicht zuletzt bei seinem Berufsschullehrer Ortwin Adam, der 1978 im damaligen Ifen Hotel den ersten Michelin-Stern für ein österreichisches Hotel überhaupt erkochte und das Kleinwalsertal ins Visier der Feinschmecker brachte. Schnell trat er in die Fußstapfen seines einstigen Mentors. Schon 2012, knapp zwei Jahre nach der Wiedereröffnung des Hotels holte er den Michelin-Stern wieder zurück in die Kilian Stuba mit ihren maximal 22 Plätzen. “Es ist schon etwas ganz Besonderes, wenn man seinen Namen zum ersten Mal auf dieser Sternliste liest“ freut sich Kemmerer.
Eine seiner wichtigsten Stationen war die Villa Hammerschmiede unter der Leitung von Markus Nagy. „Hier hatte ich das Gefühl, richtig Kochen zu lernen, jeden Abend rund 80 Gäste auf Sterneniveau der alten Schule, da war Alarm“ blickt er schmunzelnd zurück. Gastronomisch beindruckt ihn vor allem Heinz Winkler von der Residenz in Aschau. „Bis heute schafft es Heinz Winkler mit Sternegastronomie auf diesem Niveau nicht nur erfolgreich sondern auch wirtschaftlich zu sein“.
In seine Kreationen wandern nur beste Produkte der Region, die ihm ein Netzwerk lokaler Qualitätslieferanten beschafft. Die Kräuterfee des Kleinwalsertals steuert frische Alpenkräuter bei, direkt von den Wiesen des Umlands. Französischen oder italienischen Käse führt er nicht, schließlich entstehen genug gute Milch-Delikatessen in unmittelbarer Nähe des Hotels. Nachhaltig und ökologisch soll die Ware produziert werden, künstliche Aromen und Geschmacksverstärker sind tabu – all das trifft die Qualitätskriterien des Travel Charme-Ernährungskonzepts GreenGusto.
Kemmerer ist auch für das Restaurant Theo’s verantwortlich und bekocht mit seinem Team damit nicht nur die Kilian Stuba sondern auch bis zu 240 Gäste in der Halbpension. Dafür sind bis zu zehn Mitarbeiter in seiner Küche nötig, zu Spitzenzeiten tummeln sich in der gesamten Food and Beverage-Abteilung bis zu 40 Mitarbeiter. „Da muss ich Eckpfeiler setzen, ohne Hierarchie geht das nicht“, sagt der Chef de Cuisine, ohne sein ansteckendes Lächeln zu verlieren.
Als produktorientiert, unkompliziert und nachvollziehbar bezeichnet er seinen Stil. Neben Qualität, Transparenz und Ehrlichkeit zählt eine klare Stilistik zu seinen obersten Geboten, wenn er traditionellen Walser Rezepten neue Raffinesse und impulsive Leichtigkeit einhaucht. Sein Signature Dish „Gepökeltes Tatar vom Walser Rind – Saiblingskaviar – Rote Rübe – Ländle Creme fraîche“ verkörpert dieses Verständnis auf besonders nachhaltige Weise. Die Rote Rübe verleiht dem Gericht eine erdige Note. Das erscheint zunächst gewagt, löst sich aber in Wohlgefallen auf, weil das intensive Aroma der Rübe dezent im Hintergrund bleibt.
Überhaupt: Geht es um die Zubereitung seiner feinen Speisen, liebt es Kemmerer schmackhaft, intensiv und mit viel Sauce oder Fond. Die süffige Basis spielt bei der Variation vom Sous Vide gegarten Ammersee-Zander eine gewichtige Rolle, den es am Abend geben wird. Viel Brühe ist hier dabei, die sensorisch durch Ziegenkäse, Schnittlauch und Traubenmost erweitert wird.
„Ein Gericht muss Bumms haben, etwas aussagen und etwas darstellen“, bringt er sein Credo bildhaft auf den Punkt, „wenn ein Topprodukt auf der Karte steht, muss es das auch sein und als solches erkennbar sein. Also wenn eine Crevette, dann auch die große wilde Ware aus Frankreich.“ In der Tat: Was ich später in der Kilian Stuba verkosten darf, ist ein veritables Exemplar des Krustentieres, tadellos zubereitet und – wie könnte es anders sein – mit sehr viel Sauce.
„Kobe Wagyu 12 +“, heißt das Gericht, bei dem Kemmerer die japanische Fleisch-Preziose in dünnen Scheiben geschnitten mit Perigord-Trüffel (die Alba-Variante ließ er wegen mangelnder Qualität zurückgehen) gelber Rübe und Petersilie kombiniert. Das Fleisch hat er roh im Fond gar gezogen – was bei einem Fettanteil von 70 Prozent gar nicht anders gehen würde. Auch hier ist ein opulenter Sud dabei, der diesen Gang süffig-sättigend macht. Den Alpenlachs serviert er lauwarm, das Filet ganz auf sich reduziert. „So entfaltet sich der Geschmack bis ins Innerste am besten, bleibt das Mundgefühl stimmig und der einzigartige Geschmack unverfälscht“, meint der Chef de Cuisine. Confiert werden die bei 40 Grad gegarten Filets nur mit Maibutter. Dazu Blumenkohl als hauchfeines Röschen und Püree, Roggenbrot-Croutons und eine exquisite Rogen-Kalamansi-Vinaigrette.
„Wir müssen zusammenführen, was im Mund explodiert“, fordert Kemmerer und richtet seine marinierte Gänsemastleber konsequenterweise mit roter Rübe und verschiedenen Texturen der wunderbar aromatischen Abbé Fétel-Birne an. Dazu Anisöl, das dieses virtuose Spiel der Geschmacksnuancen vollendet.
Restaurantleiter und Sommelier Lars Kirchbach, der das Team seit Sommer 2014 dirigiert, hat stets den richtigen Tropfen parat. Er kapriziert sich rein auf österreichische Tropfen – auch wenn das Kleinwalsertal kulinarisch zu Deutschland gehört. Außer-europäische Weine sind bei ihm tabu. Zum Zander reicht er einen würzig-extraktreichen Rotgipfler vom Weingut Reinisch aus der Thermenregion, der – anders als es sein Name suggeriert – eine Kreuzung aus Traminer und Rotem Veltliner und somit goldgelb im Glas schimmert.
Zur Gänseleber gibt es einen Grünen Veltiner mit starker Frucht und knapp acht Gramm Restzucker, während Kirbach das Kobe-Beef mit einem 2009er Gabarinza aus dem Burgenland begleitet, der mit seinen schön eingebundenen Tanninen perfekt zum Fleisch passt. Hervorragend der Riesling Eiswein von Markus Huber, der mit seinem Hauch von Maracuja-Eis und feinen Honignuancen perfekt mit der präzisen durchgearbeiteten Tarte von der Valrhona Dulcey mit Blutorange, Amaranth und Mandelmilcheis harmoniert.
Geht es um die in seiner Zunft so begehrten Sterne, glaubt Maître Kemmerer fest daran, dass man auf den ersten Stern hinarbeiten kann. Der zweite und dritte passiere eher. „Gastronomie ist Dienstleistung“, ist er sich sicher. Gäste, die sich rundum wohlfühlen, sind für ihn das A und O. Bei seinem Tischbesuch am Ende der Gourmandise fragt er sie auch nicht: „Hat es Ihnen geschmeckt“, sondern: „Hat es Ihnen gefallen?“ Die große Mehrheit, so legt es dieser Abend nah, dürfte darauf ohne zu zögern zustimmend nicken.
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