Wer mit dem Derivatehandel vertraut ist, das Geschäft speziell mit Optionen, Optionsscheinen und Futures kennt, weiß, dass Gewinne und Verluste, im Gegensatz zu Aktien, weitaus höher, plötzlicher und in sehr kurzer Zeit ausfallen können. Natürlich versprechen sich viele Trader und Investoren durch die starke Hebelwirkung und Vielfältigkeit dieser Finanzprodukte schnelles Geld. Bevor man sich jedoch über Gewinne freuen kann, sollten wir uns ein paar Gedanken über die unberechenbare (oder doch berechenbare?) Natur von Verlusten machen.
Beim Handel von Optionsscheinen sollte man folgende Regeln beim Risikomanagement beachten: wenn ein Kursverlust von 10% des Basiswertes entsteht, ist ein erneuter Kauf nötig, der mindestens 11,1%  Gewinn erzielt, um diese Einbußen wieder wett zu machen. Erst danach steht man wieder so gut wie am Anfang da. Aber schon wenn der Verlust 30% beträgt, muss für diese Position jetzt 42% des Wertes aufgebracht werden, nur um diese wieder glattzustellen. So weit so gut. Tragisch wird es jedoch, wenn der Preis gar 60% seines Wertes einbüßt. Das bedeutet , beim nächsten Kauf ganze 150% des ursprünglichen Wertes zu erwirtschaften, um sich wieder in die Anfangsposition zu setzen. Das ist aber  an dem Punkt kaum noch zu schaffen. Es kommen nämlich eine ganze Reihe heftige Emotionen und Ängste ins Spiel, die zu Panik(ver)käufen und höherer Risikobereitschaft führen.
Wie exponentiell die Kurve zum Aufwand der Glattstellung von Verlusten verläuft zeigt unser letztes Beispiel: in Krisenzeiten beispielsweise, bei 90% des Werteverfalls, heißt das, zehn mal so viel vom Anfangswert hervorzaubern zu müssen, nämlich ganze 900%, um diese Wette unbeschadet zu überstehen. Meistens ist es in diesem Fall nahezu unmöglich, finanziell wieder auf die Beine zu kommen.
Interessanterweise gilt dieses Phänomen, außerhalb der Börse, auch für das alltägliche Leben. Wenn man sich falsch entscheidet, etwas beschädigt, jemanden verletzt, sich verspekuliert, verkalkuliert, verirrt, benötigt man jedes Mal, je nach Größe des Schadens, wesentlich mehr Aufwand, mehr Energie einzig allein, um die Lage wieder zu neutralisieren, d.h. wieder die Anfangssituation zu erschaffen  und den Fehler wieder gutzumachen.
Freundschaften oder Beziehungen unterliegen auch diesem Algorithmus. In dem Moment, wenn eine Freundschaft sich in die Verlustzone bewegt, – man fühlt sich zum Beispiel ausgenutzt -, sollte man sie analysieren und beenden. So wie der Trader ein enges Stop Loss (Verlustbegrenzung, also einen Kurswert bei dem er einsieht, dass er sich geirrt hat und seine Entscheidung rückgängig macht) setzt, sollte man sich auch im Alltag rasch vergegenwärtigen, dass man sich einfach verspekuliert hat. Das eigene Ego muß bezwungen werden, um eben die eigene Entscheidung wieder rückgängig machen.
Aber sowohl bei Finanzpositionen im Minus, als auch bei schlechten Beziehungen gilt: wer gibt schon gerne zu, dass er sich geirrt hat. Man wartet meistens viel zu lange , bis es zu spät, bis die Zeit unwiederbringlich abgelaufen ist (Bei Finanzderivaten gibt es ein genaues Ablaufdatum) und vergisst dabei die zerstörerische Kraft der exponentiellen Kurve.
Sowohl der routinierte Finanzexperte, als auch jeder von uns sollte sich folgende Tabelle über den Schreibtisch hängen. Vielleicht wird uns dann eher bewusst, wie fragil all unsere Werte sind, die materiellen und die immateriellen, so werden wir einfach daran erinnert, unser Ego zu überwinden und rechtzeitig zu handeln.
Irina Reylander
www.irina-reylander.com

Kursverlust und erforderlicher Gewinn bis zum Erreichen des Ausgangspunkt in Prozent:

10 ⇒ 11,11
20 ⇒ 25,00
30 ⇒ 42,86
40 ⇒ 66,67
50 ⇒ 100,00
60 ⇒ 150,00
70 ⇒ 233,33
80 ⇒ 400,00
90 ⇒ 900,00