Für Paco Perez zählt nur das Außergewöhnliche. So musste es mit „Das Stue“ Berlins erstes Luxus Boutique Hotel sein, das der katalanische Küchenkünstler vor gut drei Jahren für seine erste Dependance außerhalb Spaniens wählte.
Die 5 steht für die fünf Finger einer Hand als Sinnbild für höchste Kochkunst als Handwerk und für die fünf Sinne, die von den kulinarischen Kreationen berührt werden. Es könnte aber auch für die insgesamt fünf Sterne stehen, die der Guide Michelin dem Spanier für seine drei Restaurants verliehen hat.
Im Mittelpunkt des “Stue” und seiner Restaurants steht Pérez’ Heimat. Das spiegeln nicht nur die Speisen und Zutaten wider, die einem katalanischen Kaleidoskop von Meeresfrüchten und Fischen mit Fleisch- und Gemüse-Klassikern aus dem Landesinneren der iberischen Halbinsel gleichen. Auch das von der renommierten Designerin Patricia Urquiola gestaltete Hotel-Interieur ist eine Hommage an Spanien.
Der Hotelname „Stue“ hingegen hat mit Spanien nichts zu tun. Vielmehr stammt er aus dem Dänischen und steht für „Wohnzimmer“ oder „gute Stube“. Es ist eine Reminiszenz an die Geschichte dieses denkmalgeschützten Gebäudes mit seiner kolossalen Steinfassade aus den späten 1930er Jahren: Mitten im Diplomatenviertel Berlins am Rande des 210 Hektar großen Tiergartens gelegen, war es einst Sitz der dänischen Botschaft.
Mastermind Paco Pérez, der für seine avantgardistischen Kreationen 2013 mit einem Stern ausgezeichnet wurde, steht nicht selbst hinterm Herd. Der Protegé von Ferran Adrià aus dem legendären EL Bulli hält es lieber wie die Koch-Granden Yannick Alléno, Pierre Gagnaire und Alain Ducasse und steht allein mit seinem Namen für Qualität.
Bereits im zarten Alter von zwölf Jahren wurde Pérez in die Tapas-Bar seiner Familie geschickt. Bevor er in der Küche seiner Leidenschaft fürs Kochen frönen durfte, musste er sich als Servicekraft seine Sporen verdienen. Mittlerweile darf er sich auf Lehrer wie Michel Guèrard berufen, der zu den Wegbereitern der Nouvelle Cuisine zählt.
Bei seinem kulinarischen Mentor Ferran Adrià verinnerlichte er, was heute das „5-Cinco“ prägt. Geht es ums Essen, zählt nicht allein der Geschmack. Mindestens ebenso wichtig sind Optik, Geruch und Haptik eines Gerichtes. Genauso präsentieren sich Pérez’ Speisen: aromenstark und fokussiert, dabei immer wieder verfremdet in ihrem Erscheinungsbild. Des Meisters Verbundenheit mit der spanischen Avantgardeküche ist zwar unverkennbar, doch molekulartechnologische Mätzchen seine Sache nicht. Lieber dekonstruiert er bekannte Produkte, um ihnen in anderer Zusammensetzung neue kulinarische Perspektiven zu eröffnen.
Im „Stue“ kann er sich mit Monty Aguiló Wray und Andreas Rehberger auf zwei erstklassige Kochkünstler verlassen. Ihrer Expertise ist es zu verdanken, dass Pérez mit dem „5-Cinco“den fünften Michelin-Stern erhalten hat – Nomen est Omen. Jeweils zwei hat er für sein Restaurant ‘Miramar’ in Llança an der Costa Brava und für das ‘Enoteca’ im Hotel Arts in Barcelona. Berlin ist für ihn immer wieder eine Reise wert. In regelmäßigen Abständen zieht es ihn in die Spree-Stadt – nicht zuletzt, um immer wieder frische Meeresfrüchte aus seiner Heimat nach Berlin zu bringen.
Gespeist wird unter 86 mittig an der Decke hängenden Kupferkesseln. Bei Restaurant-Manager Christian Böckmann und seinem ebenso kompetent wie freundlich-aufmerksam agierenden Team sind sie in bester Hand. Die Showküche erlaubt den Blick auf das bunte, aber gar nicht hektische Treiben der Kochkünstler. Einen hervorragenden Überblick über das Schaffen von Pérez und seinen drei Statthaltern bietet das von Meeresfrüchten geprägte rund zwei Dutzend Gänge umfassende Experience-Menü, von dem hier aus Platzgründen nur ein Teil beschrieben werden kann.
Die Grüße aus der Küche in Form von – wie könnte es anders sein – Tapas eröffnen den Reigen. Mais wiederum kommt als Chip mit Tapiokamehl, gefriergetrocknetem Mais als Pulver und Sphäre mit Maissaft gefüllt sowie mit einer Maissprosse auf den Teller. Der Champignon wiederum ist ein winziges Bocadillo (dt.: Brötchen) aus Baiser-Masse mit Champignonwasser, gefüllt mit Champignoneis – und Miniatursalat.
‚Karotte’ heißt das ebenso gewagte wie gekonnte Amuse Bouche, das eine winzige Rübe unter einer geeisten Lebkuchenerde mit einem ‚Detoxdrink’ aus Karottensaft, Limettensaft, Kokosmilch und Wodka im Glas kombiniert.
Eine gekonnte Assemblage feinst aromatisierter Meeresfrüchte ist die ‚Meeresodyssee’. Scheiben und Tatar vom Thunfisch mit einer gedämpften Garnele sowie Rogen vom Seeigel lassen das Meer förmlich am Gaumen spüren. Eine Avocadocreme erweitert die Komposition sensorisch. Wenig Bezug hat allerdings das Wachtelei.
Sommelière Simone Schiller reicht dazu mit dem 2014er Leirana Albarino von der Bodega Forjas del Salines mit Trauben aus 40 bis 60 Jahre alten Weinbergen den kongenialen Begleiter. 500 fair gepreiste Positionen liegen in ihrem Weinkeller. Auch der ein oder andere große Jahrgänge von Mouton Rothschild fehlt nicht.
Der Service ist perfekt und so leider nur in den wenigsten Top-Restaurants anzutreffen. Schiller spült die Gläser zunächst mit einem kleinen Schluck des Weines, um sie mit dem Duft der Kreszenz zu parfümieren. Erst dann gießt sie ein.
Ein Kaleidoskop der Texturen ist der ‚Pure Erbsen’ genannte Gang. Blanchierte Erbsen werden von einem Erbsen-Gelee bedeckt. Dazu eine Hollandaise der grünen Hülsenfrucht mit Erbsenkresse und ein angegossener Erbsenfond. Auch hier kann man sich blind auf die Wahl von Sommelière Schiller verlassen. Der 2012er Grüne Veltliner vom Weingut Nikolaihof in der Wachau ist im Holzfass vergoren und gehört nach Meinung von Weinpapst Robert Parker nicht ohne Grund zur Weltspitze.
‚Hummer’ schafft das Kunststück, eine ganze Reihe widerstreitender Aromen wie Schweineschwarte, Tatar vom Hummer, Sauce vom Iberico-Schwein, Topinambur-Creme und Enoki-Pilze in einem einzigen Gericht wundersam zu verbrüdern.
Nicht ganz überzeugen kann die Taubenbrust, die von Profiteroles mit Innereien des Federviehs sekundiert wird. Das Fleisch ist nicht perfekt ausgelöst und wird zu stark von der mit Bitterschokolade und Kaffee zu ungraziös geratenen Taubenjus dominiert. Die handwerklich tadellos zubereitete Schwarzwurzel (als kleine gelierte Würfel und in einer Olivenerde gewälzt) geht in diesem Kontext fast unter.
„Coco Coco Coco“ wiederum ist ein virtuoses Spiel mit Aggregatzuständen und Geschmacksnuancen. Die Kokosnuss wird hier in Form von einem Eis, geeisten Perlen, Kokoscreme, Sponge und als Chip mit einer Karamellsauce und Zitrus-Gel zum veritablen Gaumenschmeichler. Zum Abschluss gibt es Marshmallows mit Abrieb von der Limette und Blutorangen-Ganache mit weißer Schokolade. Gern hätte man in einer Endlosschleife weitergeschlemmt.